Leitsatz (amtlich)
Wer mit einem kaskoversicherten Sportboot im Bereich vorhandener Untiefen seine Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit und ohne Positionsprüfung fortsetzt, obwohl er in diesen Bereich abweichend von seiner zur Umfahrung der Gefahrenstelle vorab geplanten Route hineingefahren ist, handelt grob sorgfaltswidrig im Sinne von § 81 Abs. 2 VVG.
Normenkette
VVG § 81 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Aktenzeichen 3 O 537/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers ist bezogen auf den hiermit weiterverfolgten Klageanspruch auf Zahlung von (weiteren) Versicherungsleistungen unbegründet. Die Rechtsmittel der Parteien haben jedoch im Hinblick auf den Teilerfolg bzw. die Teilabweisung der Widerklage vorläufigen Erfolg und erfordern eine weitere Sachaufklärung. Zur Vermeidung eines für den Kläger nicht auszuschließenden nachteiligen Ergebnisses einer weiteren Beweisaufnahme erscheint es aus Sicht des Senats überlegenswert, dass der Kläger seine Berufung zurücknimmt.
2. Falls für den Kläger die Abgabe einer entsprechenden Prozesserklärung nicht in Betracht kommen sollte, wird der Senat zeitnah terminieren und nach Eingang eines noch anzufordernden Kostenvorschusses den Zeugen POK K... zum Termin der mündlichen Verhandlung laden.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird vorläufig auf 227.806,87 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die zulässige Berufung erscheint nach vorläufiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage bezogen auf die mit der angefochtenen Entscheidung abgewiesene Klage ohne Erfolg. Dem Kläger stehen (weitere) Ansprüche auf Entschädigung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Sportboot-Kaskoversicherungsvertrag nach § 1 Satz 1 VVG i.V.m. Ziff. 3.1 der Wengert-Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen (Stand 01.01.2018) nicht zu. Die Beklagte war berechtigt, die Entschädigungsleistung gemäß § 81 Abs. 2 VVG zu kürzen, denn der Kläger hat die Havarie am 23.08.2019 und den hierdurch verursachten Schaden an der Motoryacht als Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt (1.). Die im Hinblick auf die Schwere des Verschuldens von der Beklagten vorgenommene Leistungskürzung um 40% erscheint berechtigt (2.).
1. Der Kläger hat den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.
a. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln. Dabei hat der Versicherer, der sich auf ein Leistungskürzungsrecht aus § 81 Abs. 2 VVG stützt, den Beweis für den Verschuldensmaßstab zu führen (BGH, Urteil vom 31.10.1984 - IVa ZR 33/83 -, juris Rn. 12).
b. Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Landgericht zutreffend ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers festgestellt.
aa. Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet das erstinstanzliche Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder unwahr zu erachten ist. Der Berufungsinstanz obliegt seit der Reform der ZPO zum 01.01.2002 dann nicht mehr eine vollumfängliche Wiederholung der erstinstanzlichen Tatsacheninstanz, sondern sie dient der Fehlerkontrolle und -beseitigung (BT-Drs. 14/4722, S. 64 und 100). Deshalb bestimmt § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass das Berufungsgericht an die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden ist, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, ergeben sich im Hinblick auf die Beweiswürdigung des Landgerichtes nicht.
bb. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger spätestens nach einer Fahrtzeit von drei Minuten ab Passieren der Tonne Ariadne die Gefahrentonne Groß Stubber West hätte sehen müssen (1), letztere an dem für sie kartierten Ort tatsächlich belegen war (2) und der Kläger das von ihm betriebene Echolot nicht (ausreichend) beachtet hat, um die (sprunghafte) Reduzierung der Wassertiefe rechtzeitig zu bemerken (3).
(1) Bezogen auf die Fahrtstrecke und die Fahrtzeit zwischen den Seezeichen Ariadne und Groß Stubber West hat sich das Landgericht - wenn auch nicht ausdrücklich vermerkt - auf die Angaben des Sachverständigen Z... gestützt, der im Termin der mündlichen Verhandlung am 31.03.2021 ausgeführt hat, dass die Entfernung zwischen den Tonnen Ariadne und Groß Stubber West etwa zwei bis drei Seemeilen betrage und man für diese Strecke bei einer Geschwindigkeit von 20 Knoten etwa sechs Minuten benötige. Zudem - so der Sachverständi...