Leitsatz (amtlich)
1. Die Verkehrsicherungspflicht über einen kommunalen Friedhof ist eine allgemeine und deshalb privatrechtlich zu beurteilen. Der Amtshaftung nach § 839 BGB unterliegt sie nur, wenn sie durch oder aufgrund Gesetzes ausdrücklich zu einer Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit erhoben wird.
2. Die Sicherungspflicht des Friedhofträgers besteht bei Grabsteinen gleichrangig neben der des Grabstelleninhabers. Daran ändert nichts die subsidiäre Haftung des Grundstücksbesitzers aus § 836 BGB ggü. der des Gebäudebesitzers nach § 837 BGB.
3. Grabsteine müssen alljährlich nach Ende der winterlichen Witterung – bis zur Karwoche – auf ihre Standsicherheit überprüft werden (sog. Rüttelprobe).
4. Eine Gemeinde kann nicht wirksam ggü. jedermann durch Ortssatzung ihre Haftung als Friedhofsträger auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken. ggü. Friedhofsbesuchern, die zu ihr in keinem Sonderrechtsverhältnis stehen, ist ein solche Haftungsbeschränkung nichtig.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, §§ 836-837, 839 Abs. 1; BestattG M-V § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Stralsund (Aktenzeichen 7 O 504/98) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des LG Stralsund vom 26.3.2001 – 7 O 504/98 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen).
Gründe
A. Die Berufung der beklagten Stadt ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Beklagte ist der Klägerin gem. § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Der Unfall vom 14.7.1996 beruht auf der schuldhaften Verletzung einer ggü. der Klägerin obliegenden Verkehrssicherungspflicht.
I. Der beklagten Stadt oblag die Verkehrssicherungspflicht über den Alten Stadtfriedhof. Sie hatte den Friedhof eingerichtet und gem. § 14 Abs. 2 S. 1 BestattG M-V zu unterhalten. Damit war sie für die von ihr eröffnete Gefahrenstelle verantwortlich (vgl. BGH NJW 1977, 1392 [1393]; NJW 1971, 2308 [2309]; NJW 1961, 868).
1. Diese Verkehrssicherungspflicht ist eine allgemeine, die jedem auferlegt ist, der einen gefährlichen Betrieb oder ein gefährliches Unternehmen ausübt und dadurch eine Gefahrenlage für Dritte schafft, indem er den gefährlichen Zustand herbeiführt oder andauern lässt.
a) Sie ist deshalb grundsätzlich privatrechtlich zu beurteilen und unterliegt nicht den Grundsätzen der Amtshaftung (§ 839 BGB). Das ist seit dem Urteil des BGH v. 30.1.1961, NJW 1961, 868 anerkannt.
b) Dies schließt es nicht aus, durch oder aufgrund Gesetzes die der Gemeinde als Friedhofsträger obliegende Sicherungspflicht zu einer Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit i.S.v. § 839 BGB zu erheben (BGH NJW 1961, 868). Das ist etwa in Baden-Württemberg geschehen (§ 7 BestattG B-W), nicht aber in Mecklenburg-Vorpommern.
2. Die Verkehrssicherungspflicht der beklagten Stadt erstreckt sich auch auf das Grabdenkmal, welches beim Umstürzen die Klägerin verletzt hat (vgl. BGH NJW 1961, 868; NJW 1971, 2308; Gaedtke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 5. Aufl., S. 69). Sie besteht insoweit gleichrangig neben der Sicherungspflicht des Grabstelleninhabers (BGH NJW 1961, 868; NJW 1971, 2308). Daran ändert nichts, dass im Haftungssystem der §§ 836, 837 BGB die Haftung des Grundstücksbesitzers (hier: des Friedhofsträgers) ggü. der des Gebäudebesitzers (hier: des Grabstelleninhabers) zurücktritt. Die allgemeine, sich durch Eröffnung der Gefahrenstelle ergebende Verkehrssicherungspflicht des Friedhofsträgers aus § 823 Abs. 1 BGB wird durch die Haftung des Nutzungsberechtigten aus § 837 BGB nicht berührt (BGH NJW 1977, 1392 [1393]; OLG Hamm v. 24.11.1981 – 9 U 137/81, NVwZ 1982, 333). Der Besitzer des Friedhofs kann sich auch nicht dadurch seiner Sicherungspflicht entledigen, dass er in der Friedhofsordnung – hier: § 25 der Friedhofssatzung der Beklagten – hinsichtlich des Grabdenkmals auf die Verkehrssicherungspflicht des Nutzungsberechtigten verweist (Gaedtke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 5. Aufl., S. 70).
3. Die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bestand auch ggü. der Klägerin. Von ihr befreit ist der Friedhofsträger nur ggü. dem Nutzungsberechtigten, der selbst die vom Grabdenkmal ausgehende Gefahr geschaffen hat, und ggü. dessen Angehörigen, die er mit der Grabpflege beauftragt hat (Gaedtke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 5. Aufl., S. 72). Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin nicht.
II. Der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht erschöpft sich nicht in der gelegentlichen Inaugenscheinnahme, ob Grabsteine und Grabmale noch gerade stehen oder sich neigen oder andere erkennbare Mängel im Gefüge zeigen. Zu beachten ist auch die Beschaffenheit des Materials und seine Anfälligkeit durch Witterungseinflüsse. Erfahrungsgemäß können nicht nur Frost, starke Regenfälle und Senkungen durch Hohlräume die Standsicherheit beeinflussen, sondern auch Einwirkungen des Wurzelwerks umstehender Bäume u...