Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausgabe von imprägnierten Eizellen nach dem Tode des Mannes
Leitsatz (amtlich)
1. Konservierte Eizellen sind das Eigentum der Frau, von der sie stammen.
2. Wird eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes imprägniert und stirbt der Mann vor vollendeter Befruchtung der Eizelle, so macht sich eine Klinik nicht wegen Beihilfe strafbar, wenn die Eizelle an die Frau herausgegeben wird.
3. § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG verbietet die Verwendung des Samens eines Mannes nach dessen Tode. War die Eizelle bereits mit dem Samen imprägniert, ist dieser Samen bereits verwendet und es liegt kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG vor, wenn die imprägnierte Eizelle aufgetaut und der Befruchtungsvorgang vollendet wird.
4. Dass der Gesetzgeber (auch) die Weiterverwendung der imprägnierten Eizelle zu Zwecken der Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der Frau, von der die Eizelle stammt, hatte verbieten wollen, wenn der Ehemann verstirbt, ergibt sich weder aus dem Gesetz, noch den Materialien, noch den Normen des ESchG im Zusammenhang. Der Gesetzgeber wollte mit dem Verbot (lediglich) verhindern, dass Spermien eines Verstorbenen verwendet werden.
5. Der Schutz des Kindeswohl steht der Vollendung der Befruchtung nicht entgegen, wenn der zwischenzeitlich verstorbene "genetische" Vater ausdrücklich den Kinderwunsch seiner Ehefrau geteilt hat.
Normenkette
ESchG § 4 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 12.08.2009; Aktenzeichen 2 O 111/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Neubrandenburg vom 12.8.2009 (2 O 111/09) abgeändert und die Beklagte verurteilt, die neun unter dem Namen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes S. eingelagerten befruchteten kryokonservierten Eizellen an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe von neun unter ihrem Namen und dem ihres verstorbenen Ehemanns eingelagerten befruchteten kryokonservierten Eizellen.
Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist zu ergänzen, dass die Klägerin bereits seit 2002 wegen ihres Kinderwunsches bei der Beklagten in Behandlung war. Sehnlichster Wunsch ihres verstorbenen Ehemannes war die Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der Klägerin mit einem von ihm gezeugten Embryo. Der Ehemann der Klägerin war noch am Leben, als die Eizellen imprägniert worden sind. Dem Schreiben der Beklagten vom 26.11.2008, mit dem sie die Herausgabe der Eizellen verweigerte, ging ein Schriftwechsel der Parteien voraus. Die Beklagte ließ durch die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern eine gutachterliche Einschätzung vornehmen, die als Anlage B 1 in das Verfahren eingeführt worden ist. Die Beklagte sicherte der Klägerin zu, die Eizellen vorerst nicht zu vernichten. Die Klägerin hatte bereits zwei Wochen nach dem Tod ihres Mannes die Herausgabe der Eizellen erbeten.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin keinen Herausgabeanspruch gegen die Beklagte habe. Die Klägerin sei Eigentümerin der Eizellen, die noch nicht als befruchtet gelten würden. Die Kammer ging davon aus, dass die Samenzelle schon in das Zytoplasma der Eizelle eingedrungen war, aber noch keine Verschmelzung von Samen- und Eizelle stattgefunden habe und folglich noch kein Embryo entstanden sei. Die Herausgabe sei aber wegen § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, weil es sich um eine rechtlich unmögliche Leistung handele. Denn durch die Herausgabe würde die Beklagte gegen ein gesetzliches Verbot aus § 4 Abs. 1 Nr. 3 Embryonenschutzgesetz (ESchG) verstoßen. Die Fortsetzung des eingeleiteten Befruchtungsprozesses wertete die Kammer als wissentliche künstliche Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tod. Bei den eingelagerten Eizellen der Klägerin handele es sich um imprägnierte Zellen, die noch nicht "fertig" befruchtet seien.
Für die Kammer sei es naheliegend gewesen, § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG dahingehend auszulegen, dass die Befruchtung einer Eizelle erst mit dem nach dem Auftauen stattfindenden, sich dann aber selbständig fortsetzenden Prozess der Kernverschmelzung erfolgt (vollendet ist). Vom Wortlaut der Vorschrift sei dieses Verständnis "noch" gedeckt. Die Beklagte würde sich wegen § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB der Förderung einer Haupttat und damit der Beihilfe (§ 27 StGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG) zur postmortalen Befruchtung strafbar machen.
Die Kammer hatte keine durchgreifenden Bedenken an der Verfassungsgemäßheit von § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG.
Wegen der weiteren Begründung wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Mit ihrer Berufung, für die ihr der Sen...