Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer letztwilligen Verfügung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die für den Beginn der Verjährung des Pflichtteilsanspruches nach § 2332 Abs. 1 BGB a.F. erforderliche Kenntnis der beeinträchtigenden Verfügung setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte ihren wesentlichen Inhalt erkannt hat und nicht nur von ihr erfährt. Sie liegt nicht vor, wenn berechtigte Zweifel an der Beeinträchtigung des Erbrechts - etwa Zweifel an der Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung - bestehen bzw. nicht von der Hand zu weisen sind.

2. Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung nach § 2078 Abs. 1 BGB begründet nicht von der Hand zu weisende Zweifel an deren Wirksamkeit, wenn ein Erfolg des Anfechtungsverfahrens bei objektivierter Betrachtungsweise nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.

 

Normenkette

BGB § 2078 Abs. 1, § 2332 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Urteil vom 13.04.2010; Aktenzeichen 7 O 188/08)

 

Tenor

1. Das Urteil des LG Stralsund vom 13.4.2010 - 7 O 188/08, wird teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses der am 15.8.2004 verstorbenen W. O. durch Vorlage eines geordneten Nachlassverzeichnisses unter Angabe der Werte der Nachlassgegenstände.

2. Im Übrigen - wegen der weiteren erstinstanzlich im Wege der Stufenklage erhobenen Anträge zu Ziff. 2. und 3. - wird das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LG Stralsund - auch zur Entscheidung über die Kosten der Berufung - zurückverwiesen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: Bis 10.000 EUR.

 

Gründe

I. Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet, denn die Entscheidung erster Instanz beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), die nach § 529 ZPO zugrunde liegenden Tatsachen rechtfertigen zudem eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.

1. Entgegen der Auffassung des LG hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses gem. § 2314 Abs. 1 BGB. Danach hat der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen, wenn der Pflichtteilsberechtigte nicht Erbe ist.

Der Kläger ist pflichtteilsberechtigt i.S.d. § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn er ist - als Sohn der Erblasserin - durch das Testament vom 6.3.2004 von der Erbfolge ausgeschlossen - enterbt - worden, während die Beklagte zur alleinigen Erbin bestimmt worden ist.

Der Auskunftsanspruch ist auch nicht mangels eines objektiven Auskunftsinteresses des Klägers ausgeschlossen (vgl. Lange in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2004, § 2315 Rz. 24).

Ein Auskunftsinteresse ist ausgeschlossen, wenn die begehrte Auskunft für den Kläger nicht mehr verwendbar ist, etwa weil der Anspruch, auf dessen Durchsetzung sie gerichtet ist, weggefallen oder aus anderen Gründen nicht mehr durchsetzbar ist.

a) Dahinstehen kann zunächst, ob eine wirksame Anfechtung wegen Pflichtteilsunwürdigkeit das objektive Auskunftsinteresse in Wegfall geraten lässt, denn eine solche liegt hier nicht vor. Die Anfechtung wegen Pflichtteilsunwürdigkeit setzt voraus, dass sich der Pflichtteilsberechtigte einer Verfehlung i.S.d. § 2339 Abs. 1 BGB schuldig gemacht hat, § 2345 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BGB. Der hier einzig in Betracht kommende Anfechtungsgrund des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB liegt jedoch nicht vor. Danach ist erbunwürdig, wer sich in Ansehung einer Verfügung des Erblassers von Todes wegen einer Straftat nach den §§ 267, 271 - 274 StGB schuldig gemacht hat. Das Urkundsdelikt muss sich dabei als ein Angriff auf die Testierfreiheit darstellen (vgl. Staudinger/Wolfgang Olshausen (2004), § 2339 BGB Rz. 23); mithin muss die letztwillige Verfügung als solche von dem jeweiligen Delikt betroffen sein. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.

Selbst wenn erweislich wäre, dass der zur Durchsetzung der angeblichen Darlehensforderung von der Ehefrau des Klägers (!) präsentierte Schuldschein unecht war, handelt es sich nicht um ein Urkundsdelikt "in Ansehung" einer Verfügung der Erblasserin von Todes wegen, denn der Schuldschein stellt keine solche dar. Auch wenn - eine tatsächliche Fälschung vorausgesetzt - denkbar ist, dass auf diesem Wege der Wille der Erblasserin, der Kläger solle nichts bekommen, faktisch umgangen werden sollte, so scheidet eine analoge Anwendung des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB gleichwohl aus. Die Erbunwürdigkeitsgründe sind nach allgemeiner Meinung nicht analogiefähig und einer extensiven Auslegung nicht zugänglich (vgl. Staudinger, a.a.O., Rz. 21 m.w.N.). Angesichts des rechtskräftigen Freispruchs des Klägers und dessen Ehefrau ist im Übrigen bereits nicht erweislich, dass überhaupt ein Urkundsdelikt vorlag, geschweige denn der Kläger - der in diesem Zusammenhang "lediglich" wegen uneidlicher Falschaussage angeklagt worden ist - an einem solchen beteiligt war.

b) Der dem Auskunftsbege...

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