Leitsatz (amtlich)
1. Die aufgrund einer Rahmenvereinbarung bestehende Möglichkeit der Insolvenzschuldnerin, bei ihrer geschäftsführer- und gesellschafteridentischen Schwestergesellschaft kurzfristig abrufbare Darlehensmittel zu erhalten, kann im Rahmen der insolvenzrechtlichen Prüfung der stichtagsbezogenen Zahlungsunfähigkeit wegen der Gleichartigkeit der Interessenlage nicht anders behandelt werden als eine Patronatserklärung (BGH Urteil vom 19.05.2011 - IX ZR 9/10) oder eine Zahlungszusage eines Gesellschafters (BGH Urteil vom 26.01.2016 - II ZR 393/13).
In Anwendung der Grundsätze zur Prüfung des Vorliegens einer stichtagsbezogenen Zahlungsunfähigkeit kommt es allein darauf an, dass sich der (Insolvenz)Schuldner die liquiden Darlehensmittel auch tatsächlich kurzfristig, d.h. in der Regel innerhalb von drei Wochen, beschafft.
2. Stellt sich im Prognosezeitraum heraus, dass die erwarteten liquiden Mittel nicht zur Verfügung stehen, tritt sofortige Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ein.
3. Zur Widerlegung der gegen den Geschäftsführer im Rahmen von § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. streitenden Vermutung, er habe schuldhaft gehandelt.
Normenkette
GmbHG § 64 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1994-100-05
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird - unter deren Zurückweisung im Übrigen - das am 25.04.2014 verkündete Urteil des Landgerichts Rostock, Az. 9 O 146/07, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 86.614,49 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.06.2007 zu zahlen.
2. Dem Beklagten wird vorbehalten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 46 % und der Beklagte 54 % zu tragen.
Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten hat der Kläger zu 46 % zu tragen und zu 54 % der Streithelfer selbst.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung abzuwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den Kläger insgesamt vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung abzuwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den Beklagten und den Streithelfer jeweils insgesamt vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte und der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils für sie zu vollstreckenden Betrages leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 160.704,39 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verfolgt Ersatzansprüche aus § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als ehemaliger Geschäftsführer der ... GmbH (im Folgenden: PB oder Insolvenzschuldnerin).
Diese wurde am 09.04.2001 mit einem Stammkapital von 25.000,00 EUR gegründet und am 03.09.2001 in das Handelsregister eingetragen. Ein Anteil von 80 % des Stammkapitals der PB wurde von der ... GmbH (im Folgenden: PH) als Gesellschafterin gehalten. Geschäftsführer und 75 %-iger Gesellschafter der PH war ebenfalls der Beklagte.
Die PB beschäftigte neben einem freiberuflichen Bauleiter insgesamt 14 Mitarbeiter aus dem Bauhauptgewerbe (vgl. Kurzdarstellung zur PB, Anlage K 4, Bd. I, Bl. 21 f. GA). Die Insolvenzschuldnerin unterhielt neben einer Barkasse jeweils ein Geschäftskonto bei der O.Sparkasse (...) und der C.Bank.
Zwischen der PB in Gründung und der PH bestand eine schriftliche Rahmenvereinbarung vom 01.06.2001. In deren Präambel heißt es, die PH sei daran interessiert, die PB bestmöglich zu unterstützen, insbesondere solle die Liquidität der PB möglichst ohne Inanspruchnahme von Bankkrediten gestärkt werden. Wegen des weiteren Inhalts der Vereinbarung wird auf Anlage K 32 (Bd. III, Bl. 64 ff. GA) Bezug genommen.
Die PH gewährte der PB Darlehen drei kurzfristige Darlehen, die zurückgezahlt worden sind.
Mit Vereinbarung vom 26.04.2001 (Anlage B 11, Bd. II, Bl. 83 GA) gewährte die PH der PB ein verzinsliches Darlehen über 8.000,00 DM, das am 26.04.2002 zurückgeführt worden ist.
Aufgrund der Vereinbarung vom 15.01.2002 (Anlage B 13, Bd. II, Bl. 85 GA) stellte die PH der PB ein verzinsliches Darlehen über 20.000,00 EUR und durch Vertrag vom 12.02.2002 (Anlage B 12, Bd. II, Bl. 84 GA) ein weiteres verzinsliches Darlehen über 10.000,00 EUR zur Verfügung. Diese Darlehen wurden am 31.05.2002 an die PH zurückgezahlt. Zu einer weiteren Darlehensgewährung von der PH an die PB ist es in deren Krise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr gekommen.
Anfang des Jahre 2002 standen der PB gegen d...