Leitsatz (amtlich)
Die Anrechnung gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV hat auf die wegen desselben Gegenstandes später anfallende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV zu erfolgen vor der Ermittlung der Verfahrensgebühr gem. § 15 Abs. 3 RVG und nicht auf diese.
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Beschluss vom 05.11.2008; Aktenzeichen 6 O 180/07) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des LG Ravensburg vom 5.11.2008 - 6 O 180/07, abgeändert:
Aufgrund des rechtswirksamen Vergleichs des LG Ravensburg vom 22.10.2007 sind von dem Kläger an die Beklagten an Kosten zu erstatten:
weitere 544,29 EUR,
damit insgesamt 6.191,60 EUR,
nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 29.8.2008.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Im Übrigen hat der Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: 544,29 EUR.
Gründe
1. Die Parteien streiten über die anteilige Anrechnung der bei den Beklagten für die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten angefallenen 1,3-Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG-VV aus einem Gegenstandswert von 120.000 EUR. Dabei besteht Einigkeit über die Höhe der Anrechnung von 0,75. Lediglich die Art und Weise der Anrechnung ist im Streit.
Das Klageverfahren über einen Zahlungsanspruch von 120.000 EUR wurde beendet durch einen am 22.10.2007 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich, durch den auch nicht rechtshängige Ansprüche mit erledigt wurden. Deswegen wurde der Mehrwert des Vergleichs auf 23.452 EUR festgesetzt. Die außergerichtliche Tätigkeit des Beklagtenvertreters bezog sich auf den rechtshängigen Zahlungsanspruch von 120.000 EUR. Bezüglich der Kosten des Rechtsstreits vereinbarten die Parteien eine Quote von 9/10 zu Lasten des Klägers und 1/10 zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner.
In der Kostenfestsetzung nahm die Rechtspflegerin die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Ermittlung der Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung von § 15 Abs. 3 RVG vor, während die Beklagten beantragt hatten, die Anrechnung allein auf die Verfahrensgebühr aus dem rechtshängigen Zahlungsanspruch vorzunehmen. Hierdurch errechnet sich eine Differenz von 544,29 EUR, um die der Erstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5.11.2007 gekürzt wurde.
Wegen dieses Betrages haben die Beklagten gegen die am 17.11.2008 zugestellte Entscheidung am 1.12.2008 sofortige Beschwerde eingelegt, der der Kläger entgegengetreten ist.
Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff. ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG) und in der Sache auch begründet.
Aufgrund der Rechtsprechung des BGH (BGH/8. OLG Stuttgart, NJW 2008, 1323; BGH/6. und 8. OLG Stuttgart, JurBüro 2008, 468 und 469; BGH/4. Zivilsenat, AGS 2008, 377; BGH/9. OLG Stuttgart, NJW 2008, 3641) zur Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV; hier zzgl. der Erhöhungsgebühr gem. Nr. 1008 RVG-VV) des gerichtlichen Verfahrens gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV besteht zwischen den Parteien zur Frage der grundsätzlichen Anrechnung und deren Höhe kein Streit, sondern lediglich zu Art und Weise dieser Anrechnung beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 RVG.
Ausgehend vom Wortlaut der Anrechnungsvorschrift gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV und der vorgenannten Rechtsprechung des BGH ist von Folgendem auszugehen:
Die Anrechnungsvorschrift bezweckt unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt die Kürzung der Verfahrensgebühr, weil der Prozessbevollmächtigte auf Grund seiner vorprozessualen Befassung mit dem Streitstoff in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat. Dementsprechend besagt Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV, dass die Anrechnung vorzunehmen ist, wenn "wegen desselben Gegenstands" die vorgerichtliche Geschäftsgebühr und die gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden sind.
Dies trifft vorliegend aber nur zu bezüglich des rechtshängigen Zahlungsanspruchs von 120.000 EUR, weswegen die vom Beklagtenvertreter vorgenommene Anrechnung auf die Verfahrensgebühr aus diesem Streitwert vor Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG gerechtfertigt erscheint.
Hierfür spricht außerdem, dass der BGH (u.a. BGH NJW 2007, 3500; BGH NJW 2008, 1323) klargestellt hat, dass sich allein die wegen desselben Gegenstands später anfallende Verfahrensgebühr infolge der Anrechnung reduziert durch den anrechenbaren Teil der zuvor entstandenen Geschäftsgebühr, die ihrerseits von der Anrechnung unangetastet bleibt. Damit konnte die Verfahrensgebühr bezüglich des rechtshängigen Zahlungsanspruchs nur in dem bereits geschmälerten Umfang im Rahmen des § 15 Abs. 3 RVG berücksichtigt werden.
Schließlich ist die um die anteilige Geschäftsgebühr geminderte Verfahre...