Entscheidungsstichwort (Thema)

(Fehlende) Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Aufhebung einer mit einer EuGH-Vorlage verbundenen Aussetzung durch einen Einzelrichter beim Landgericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Beschluss, mit dem ein Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt werden, ist nicht anfechtbar.

2. Ein Beschluss, mit dem ein Antrag auf Aufhebung einer solchen Aussetzung abgelehnt wird, ist jedenfalls dann ebenfalls nicht anfechtbar, wenn sich der Antrag gegen die grundsätzliche Entscheidung richtet, dem Gerichtshof der Europäischen Union die gestellten Fragen im Wege der Vorabentscheidung vorzulegen, und nicht etwa z.B. die Fortsetzung des Verfahrens verlangt wird, weil das Vorabentscheidungsverfahren abgeschlossen sei oder um den Rechtsstreit durch Klagerücknahme, Anerkenntnis oder vereinbarten Vergleich zu erledigen.

3. Eine Anfechtbarkeit eines solchen Beschlusses besteht auch nicht dann, wenn ein Einzelrichter beim Landgericht ihn erlassen hat, ohne das Verfahren der Kammer zur Übernahme vorzulegen.

 

Normenkette

AEUV Art. 267; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO §§ 148, 252, 348 Abs. 3 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Beschluss vom 02.06.2021; Aktenzeichen 2 O 193/20)

LG Ravensburg (Aktenzeichen EuGH-Vorlage 31.3.2021, 2 O 339/19)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 2. Juni 2021, Az. 2 O 193/20, wird als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten in der Hauptsache über Ansprüche wegen eines etwaigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Dieselfahrzeug.

Mit Beschluss vom 31. März 2021 (juris) setzte der zuständige Einzelrichter des Landgerichts das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor (dortiges Az.: C-240/21).

Die Beklagte beantragte, die Aussetzung aufzuheben und den Rechtsstreit fortzusetzen, um ihn der Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen und das Vorabentscheidungsersuchen zurücknehmen zu lassen. Der Einzelrichter habe den Rechtsstreit der Kammer vorzulegen, da jedenfalls mit der Einleitung des Vorabentscheidungsersuchens die grundsätzliche Bedeutung der Sache begründet worden sei, zumal der Einzelrichter ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichen wolle; eine Missachtung der Pflicht zur Vorlage an die Kammer stelle einen Entzug des gesetzlichen Richters dar. Die Kammer müsse den Vorlagebeschluss zurücknehmen, da die gestellten Fragen nicht entscheidungserheblich und mangels Entscheidungskompetenz des Gerichtshofs der Europäischen Union unzulässig seien; sie seien darauf gerichtet, das nationale Haftungsregime auf eine deliktische Haftung für Vermögensschäden aufgrund von fahrlässigem Verhalten auszudehnen, die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine zivilrechtliche Haftung für eine Verletzung von Unionsrecht eintrete, obliege jedoch mangels europarechtlicher Regelungen allein dem nationalen Gesetzgeber. Der Bundesgerichtshof habe bereits entschieden, dass in Konstellationen wie der vorliegenden eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht komme und die Rechtslage insoweit ein "acte clair" sei.

Mit Beschluss vom 2. Juni 2021 hat der Einzelrichter den Antrag der Beklagten abgelehnt. Er hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Fragen entscheidungserheblich seien, wovon auch der Bundesgerichtshof ausgehe, der sich mit ihnen ausführlich befasst habe. Ein "acte clair" liege nicht vor; weder sei die Sichtweise des Bundesgerichtshofs hierzu bindend noch liege in sachlicher Hinsicht ein solcher "acte clair" vor. Es fehle außerdem an einer grundsätzlichen Bedeutung der Vorlageentscheidung, da ein Vorlagebeschluss nur ein nichtstreitiges Zwischenverfahren einleite, in dem nur der Gerichtshof der Europäischen Union eine die Sache betreffende Entscheidung treffe, nicht das vorlegende Gericht. Auch bei unterstellter grundsätzlicher Bedeutung bestehe keine Pflicht, den Rechtsstreit der Kammer vorzulegen, da das Vorlagerecht an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht durch nationales Verfahrensrecht beeinträchtigt werden dürfe. Selbst wenn man aber eine grundsätzliche Bedeutung der Vorlageentscheidung und eine Pflicht zur Kammervorlage annähme, müsste die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage abgewartet werden, mit der er genau danach gefragt werde, ob § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO auf den Erlass von Vorlagebeschlüssen überhaupt anwendbar sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde und verlangt die Aufhebung der Aussetzung. Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, die Unanfechtbarkeit gelte nur für den Aussetzungsbeschluss, nicht aber für eine Entscheidung, mit der die Aufhebung der Aussetzung versagt werde. Der Rechtsstreit habe wegen der Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens sowie dem damit einhergehenden Abweichen von der Rechtsprech...

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