Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen der Wohnungszuweisung nach der Neufassung von § 1361b BGB.
2. Die Wahrung der Belange des im Haushalt lebenden Kindes kann die befristete Zuweisung der Ehewohnung an den betreuenden Elternteil rechtfertigen, auch wenn diese im Alleineigentum des Antragsgegners steht.
3. Bei Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Verfahrensgang
AG Balingen (Beschluss vom 22.09.2003; Aktenzeichen 3 F 293/02) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG Balingen – FamG – vom 22.9.2003 (3 F 293/02) in seiner Ziff. 2 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Dem Antragsgegner wird untersagt, ohne Zustimmung der Antragstellerin das Wohngebäude in H. zu betreten.
Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung eines Näherungsverbots wird zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird wie folgt festgesetzt:
a) Wohnungszuweisung: 3.000,00 Euro
b) Betretens- und Näherungsverbot: 500,00 Euro
Gründe
I. Die Parteien sind getrenntlebende Eheleute. Aus ihrer Ehe ist das gemeinsame Kind A., geb. 21.10.1996 hervorgegangen. Das FamG hat im Rahmen des Scheidungsverbundsverfahrens durch einstweilige Anordnung vom 22.9.2003 das Anwesen in H. der Antragstellerin zusammen mit dem gemeinsamen Kind zur alleinigen Nutzung zugewiesen und außerdem dem Antragsgegner untersagt, ohne Zustimmung der Antragstellerin das Hausgrundstück zu betreten, sich der Antragstellerin weniger als 100 m zu nähern und sich in weniger als 100 m Umkreis des Grundstücks aufzuhalten. Diese Anordnung wurde vorläufig für die Dauer von fünf Monaten begrenzt.
Dem ging voran, dass es am 24.8.2003 zu nächtlicher Stunde zwischen den Eheleuten zu einer auch tätlich ausgetragenen Streitigkeit über die Frage kam, ob das Fenster des gemeinsam benutzten Schlafzimmers geöffnet bleiben oder geschlossen werden sollte. Die Antragstellerin hat hierbei durch Arztattest und Fotoaufnahmen dokumentierte Blutergüsse und eine Schwellung am rechten Ober- und Unterarm davongetragen. Sie bringt in ihrer eidesstattlichen Versicherung hierzu vor, der Antragsgegner habe ihren Arm, nachdem sie aus dem ehelichen Schlafzimmer geflüchtet sei, zwischen Tür und Türrahmen des Kinderzimmers eingeklemmt und sie außerdem dabei ins Gesicht geschlagen. Der Antragsgegner bestreitet diesen Ablauf und gibt an, die vom Arzt festgestellten Blutergüsse am Arm der Antragstellerin seien entstanden, als er diese festhielt, nachdem sie zuvor auf ihn eingeschlagen habe. Er räumt ein, der Antragstellerin im Liegen einen Stoß versetzt zu haben, nachdem sie ihn zuvor mit üblen Beschimpfungen und Beleidigungen belegt habe.
Mit seiner sofortigen Beschwerde beantragt der Antragsgegner die Aufhebung des familiengerichtlichen Beschlusses und die Zurückweisung des Antrags. Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist gem. § 620c S. 1 ZPO zulässig. Die angefochtene Entscheidung erging aufgrund mündlicher Verhandlung des FamG vom 9.9.2003. Das Rechtsmittel ist begründet, soweit das FamG gegen den Antragsgegner ein Näherungsverbot verhängt hat. Bezüglich der Zuweisung der Ehewohnung an die Antragstellerin und des Betretensverbots ist die Beschwerde hingegen nicht begründet.
Rechtsgrundlage für die Wohnungszuweisung während der Dauer des Getrenntlebens ist der durch das Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei der Trennung neu gefasste § 1361b BGB. Nach Abs. 1 der Vorschrift kann bei Getrenntleben der Ehegatten oder bei Trennungsabsicht auch nur eines Ehegatten der Antragsteller verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder einen Teil derselben zur alleinigen Benutzung überlässt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Zuweisung notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Damit enthält die Neufassung von § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB eine Absenkung der Eingriffsschwelle ggü. der bis 31.12.2001 geltenden Fassung, wonach die Wohnungszuweisung nur zur Vermeidung einer schweren Härte möglich war (BT-Drucks. 14/5420, 33; Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 4. Aufl., § 1361b Rz. 2, Schumacher, FamRZ 2002, 645 [456]). Das Vorliegen einer unbilligen Härte kann sich nach § 1361b Abs. 1 S. 2 BGB auch daraus ergeben, dass das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Gem. § 1361b Abs. 2 S. 1 BGB ist bei vorangegangener Gewalttätigkeit durch den Antragsgegner dem geschädigten Ehegatten die Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen. Nach S. 2 der Vorschrift ist der Anspruch auf alleinige Wohnungszuweisung bei vorangegangener Gewalttätigkeit oder Bedrohung durch den Antragsgegner nur dann ausgeschlossen, wenn keine weiteren Verletzungen oder widerre...