Verfahrensgang
AG Reutlingen (Aktenzeichen 8 C 1856/90) |
LG Tübingen (Aktenzeichen 1 S 537/90) |
Tenor
Die Heilungswirkung einer nachträglichen Zahlung im Sinne von § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB gilt nicht für die gemäß § 564b Abs. 2 Nr. 1 HGB ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs des Mieters.
Gründe
I.
Der Kläger als Vermieter hat den Beklagten wegen Zahlungsverzuges das Mietverhältnis fristlos gem. § 554 BGB und zugleich vorsorglich gem. § 564h Abs. 2 Nr. 1 BGB mit Frist gekündigt. Nach Zugang der Kündigung haben die Beklagten die ausstehenden Mieten und Nebenkosten am 6.9.1990 bezahlt. Der Kläger hat – gestützt auf die ordentliche Kündigung – mit am 10.10.1990 eingegangenem Schriftsatz Räumungsklage erhoben, die das Amtsgericht zurückgewiesen hat. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht den Rechtsstreit zur Einholung eines Rechtsentscheids über folgende Frage vorgelegt:
Ergreift die Heilungswirkung einer nachträglichen Zahlung im Sinne von § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB nur die fristlose Kündigung des Vermieters oder auch die gleichzeitig mit dieser vorsorglich gem. § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgesprochene Kündigung wegen Zahlungsrückständen, wenn unmittelbar vor dem Zeitraum, für den der Mieter den Mietzins nicht gezahlt hat, Zahlungsrückstände nicht vorhanden waren.
Die Parteien haben Gelegenheit erhalten, zu der Vorlagefrage Stellung zu nehmen.
II.
Die Vorlage ist zulässig (§ 541 ZPO).
Die vom Landgericht, welches mit dem zugrundeliegenden Rechtsstreit als Berufungsgericht befaßt ist, gestellte Vorlagefrage hat eine Rechtsfrage zum Gegenstand, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt und von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne der genannten Vorschrift ist. Sie ist für den Rechtsstreit auch entscheidend und – soweit ersichtlich – bisher durch Rechtsentscheid nicht entschieden.
III.
Der Senat beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage im Sinne des Entscheidungssatzes.
Nach herrschender Ansicht kann der Zahlungsverzug des Mieters Kündigungsgrund nach § 554 BGB, § 554a BGB und § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB sein. Umstritten ist die Frage, ob die nachträgliche Zahlung der Rückstände nach Zugang der Kündigung bis einen Monat nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs (§ 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB) auch bei der ordentlichen Kündigung gem. § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB anwendbar ist. Verneint wird dies unter anderem von Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, IV Rn 64; Emmerich-Sonnenschein, Miete, 5. Aufl. 1989, § 564b BGB Rn. 25; MünchKomm-Voelskow, 2. Aufl. 1988, § 564b BGB Rn 43; Palandt 48. Aufl. 1989, § 564b BGB Anm. 6 b aa; Staudinger/Sonnenschein 12. Aufl. 1981, § 564 b BGB Rn 40; Schmid DWW 1982, 77/84, bejaht wird dies unter anderem von Barthelmess, 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 4. Aufl. 1990, § 564b BGB Rn 63; Derleder AK, § 564b BGB Rn 15; Gramlich, Mietrecht, 3. Aufl. 1989 § 564b BGB Anm. II 3; Soergel-Kummer, 11. Aufl. 1980, § 564b BGB Rn 29; Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Aufl. 1988, B 597; AG Schöneberg WuM 1978, 128 = MDR 1978, 56; LG Augsburg WuM 1987, 388. Die analoge Anwendung des § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB wird insbesondere damit begründet, daß die in dieser Vorschrift geregelte Rechtsfolge einen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beinhalte, der allgemein bei Kündigungen zu beachten sei, weshalb dieser bei der fristlosen Kündigung vorgesehene Schutz des Mieters erst recht bei der ordentlichen Kündigung gelten müsse (vgl. Schmidt-FuttererlBlank a.a.O.). Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen. Die Vorschrift des § 564b BGB über die ordentliche Kündigung enthält keine Verweisung auf § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die fristlose Kündigung nach § 554 BGB ist aber gegenüber der ordentlichen Kündigung nach § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB ein aliud (vgl. Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. 1988, IV 42), die Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Rechtsinstitute sind verschieden. Während die fristlose Kündigung nach § 554 BGB bei Zahlungsverzug ein bloßes Vertretenmüssen des Mieters nach § 279 BGB genügen läßt, aber einen näher geregelten Umfang des Zahlungsverzuges voraussetzt, verlangt die Anwendung des § 564b Abs. 2 Nr. 1 BGB einen schuldhaften Zahlungsverzug des Mieters von nicht „unerheblicher” Bedeutung für das Vertragsverhältnis. Da der nicht verschuldete Zahlungsverzug des Mieters den Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigt, erfordert schon der allgemeine Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter, daß dann das Gesetz dem Mieter die Möglichkeit einräumt, durch nachträgliche Zahlung nach der Kündigung innerhalb der sogenannten Schonfrist diese Kündigung wirkungslos zu machen. § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB enthält eine „begrenzt geregelte und eng auszulegende Heilungsmöglichkeit” (Köhler, Handbuch der Wohnraummiete; § 76 Rn 6). Die Kündigung wird als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit Zugang wirksam. und wandelt das Vertragsverhältnis in ein Abwicklungsschuldverhältnis um. Durch § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB wird nun fingiert, daß durch die...