Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 14.01.2022; Aktenzeichen 29 O 361/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.01.2022, Az. 29 O 361/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.01.2022, Az. 29 O 361/21, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 30.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei macht als Erwerberin eines Pkw XY GLA 200 CD gegen die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeuges Schadensersatzansprüche geltend, gestützt auf die Behauptung, in dem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten.
1. Die Klagepartei kaufte das Fahrzeug am 23.04.2014 als Neufahrzeug von der Beklagten zu einem Preis von 41.400,10 EUR. Das Fahrzeug wurde von der Beklagten hergestellt, wobei sie einen ebenfalls von ihr entwickelten und hergestellten Motor des Typs OM 651 verwendete. Das Fahrzeug ist nach der Schadstoffklasse Euro 6 EG-typgenehmigt.
In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert.
Auch verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug über eine sogenannte "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR), auch als "geregeltes Kühlmittelthermostat" bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt.
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen erfasst.
Das Fahrzeug wies am 15.12.2021 einen Kilometerstand von 104.573 auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
2. Das Landgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 24.082,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.10.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs XY GLA 200 CDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ....
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klagepartei stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu, weil die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug entgegen Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 in Verkehr gebracht und damit die Klagepartei auf vorsätzlich sittenwidrige Weise getäuscht habe, weshalb der Klagepartei durch den Abschluss des Kaufvertrags ein Schaden entstanden sei; die Kenntnis von Repräsentanten der Beklagten sei mangels ausreichendem Bestreiten zugestanden gem. § 138 Abs. 3 ZPO.
3. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung.
Sie rügt u.a. Verletzungen des materiellen Rechts und führt im Wesentlichen aus, das Landgericht habe verkannt, dass die Klagepartei trotz der sie voll treffenden Darlegungs- und Beweislast weder zur Sittenwidrigkeit noch zum Schädigungsvorsatz ausreichend vorgetragen habe. Es sei darüber hinaus fehlerhaft von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen, zumal es den aufgrund der Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung eingeschränkten zivilrechtlichen Prüfungsmaßstab verkannt habe. Mit seiner fehlerhaften Anwendung des Rechts stelle sich das Landgericht in offenen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 14.01.2022 (Az.: 29 O 361/21) in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klagepartei beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 2.886,16 EUR an die Klägerschaft nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Beide Parteien beantragen jeweils,
die Berufung des Gegners zurückzuweisen.
Die Klagepartei verteidigt das Urteil des Landgerichts, soweit dieses eine Haftung dem Grunde nach festgestellt hat, rügt allerdings eine fehlerhafte Berechnung der Nutzung...