Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung einer festen Laufzeit von 30 Jahren in einem Anwaltssozietätsvertrag ist unwirksam; an ihre Stelle tritt eine nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Laufzeit (Anschluss BGH, Urt. v. 18.9.2006 - II ZR 137/04).
2. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Partner anlässlich von Vertragsänderungen die unwirksame Laufzeit mehrfach neu in Gang gesetzt haben; für den Beginn der angemessenen Laufzeit ist dann auf den zuletzt unter den Partnern vereinbarten Neubeginn einer festen Bindungsdauer abzustellen.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 21.06.2006; Aktenzeichen 21 O 337/05) |
Tenor
I. Auf die Berufungen der Kläger und der Beklagten wird das Urteil der 21. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 21.6.2006 - 21 O 337/05 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt,
a) dass die Beklagten durch das Kündigungsschreiben vom 3.2.2005 nicht zum 31.3.2005 als Partner aus der Anwaltskanzlei X. ausgeschieden sind;
b) dass die Beklagten durch im Schriftsatz vom 14.7.2005 auf S. 18 erklärte außerordentliche Kündigung weder zum 1.4.2005 noch zu einem späteren Termin (bis jetzt) als Partner aus der Anwaltskanzlei X. ausgeschieden sind;
c) dass die Beklagten Ziff. 2 bis 4 durch die am 14.5.2005 erklärte Anfechtung (bis jetzt) nicht aus der Anwaltskanzlei X. ausgeschieden sind;
d) dass die Beklagten durch die mit Schriftsatz vom 7.6.2006 erklärte Kündigung (bis jetzt) nicht aus der Anwaltskanzlei X. ausgeschieden sind;
e) dass die Beklagten (bis jetzt) noch Partner der Anwaltskanzlei X. sind.
2. Auf die Hilfswiderklage der Beklagten wird festgestellt, dass die Beklagten durch ihre Kündigungserklärung vom 3.2.2005 zum 31.12.2008 aus der Anwaltssozietät X. ausscheiden werden.
3. Im Übrigen werden die Klage und die Hilfswiderklage der Beklagten sowie die Widerklage der Beklagten zu 3 abgewiesen.
II. Die weiter gehenden Berufungen werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch den Vollstreckungsgläubiger gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung nicht Sicherheit i.H.v. jeweils 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Streitwert in beiden Instanzen: 1.500.000 EUR.
Gründe
A. Die Kläger zu 2 bis 18 und die Beklagten sind oder - so die Beklagten - waren Gesellschafter ("Partner") der Klägerin zu 1, einer Anwaltssozietät in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Unter den Parteien ist streitig, ob die Beklagten aus der Klägerin zu 1 durch die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung oder durch Anfechtung ausgeschieden sind und wie lange andernfalls die Laufzeit des Sozietätsvertrags andauert.
1. Die Beklagten sind oder waren die im Büro der Sozietät in A. tätigen Partner, die Kläger zu 2 bis 18 sind die übrigen Partner an den Standorten B., C., D. und E.; während des Rechtsstreits ist der Kläger zu 3 altershalber durch ordentliche Kündigung zum 10.5.2006 ausgeschieden. Das Büro in A. befasst sich vor allem mit Beratung im Bereich Private Equity sowie im Bank- und Kapitalmarktrecht mit Schwerpunkt Emission von Zertifikaten und Optionsscheinen. Es wurde im Jahr 1994 gegründet, vom Beklagten zu 1, der seit 1.1.1988 Partner der Sozietät ist, von B. aus aufgebaut und zunächst von den seit 1994 bei der Sozietät angestellten Beklagten zu 2 und 3 geleitet, die später Partner wurden (Beklagter zu 2 zum 1.7.1997 und Beklagte zu 3 zum 1.1.1998 als sog. Juniorpartner, beide zum 1.7.2000 als Seniorpartner). Der Beklagte zu 1 ist im Jahr 2001 an das Büro A. gewechselt. Der Beklagte zu 4 kam 1998 als Angestellter hinzu und wurde zum 1.1.2002 Junior- und zum 1.7.2004 Seniorpartner bzw. - seit dem Gesellschaftsvertrag vom 12.11.2003 (unten 2.) so bezeichnet - Partner der Stufe I.
2. Die 1976 gegründete Sozietät führte im Jahr 1988 für die Gewinnverteilung unter den Partnern ein Punkte-System ein (sog. Lockstep). Eine feste Laufzeit des Vertrags war auf 30 Jahre festgelegt. In den folgenden Jahren wurden mehrfach Junior- und Seniorpartner aufgenommen; in vier dieser Fälle wurde die Laufzeit auf einen Zeitpunkt verlängert, der 30 Jahre nach Inkrafttreten der Änderung lag. Zweimal, zuletzt am 12.11.2003 (s.u.) wurde der Vertrag neu gefasst; auch dabei wurde die Laufzeit in gleicher Weise verlängert.
Zuletzt wurde der Gesellschaftsvertrag vom 12.11.2003 neu unterzeichnet (Anl. K 1, Bl. I 21). Er enthält in § 9 die folgenden Regelungen zur Gewinnverteilung:
§ 9 Gewinn- und Verlustverteilung
(1) Am Gewinn und Verlust der Gesellschaft sind die Partner jeweils mit dem Prozentsatz beteiligt, der dem Verhältnis der von ihnen erreichten Punktzahl zur erreichten Gesamtpunktzahl aller Partner entspricht. Für die Punktzahlen gilt folgendes:
(a) Der erreichbare Höchststand beträgt 125 Punkte. Die zum 1.1.2004 von den Partnern er...