Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 31.05.2022; Aktenzeichen 3 O 5/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 31.05.2022, Az. 3 O 5/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hechingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 16.000,00 EUR
Gründe
(Abgekürzt nach §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO)
I. Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 31.05.2022, Az. 3 O 5/22, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
A. Die Berufung ist zulässig.
Das vorgenannte Urteil wurde dem Klägervertreter am 08.06.2022 zugestellt (LGA 138, Bd. II). Die Berufung ging am 08.07.2022 (OLGA 1) und die Berufungsbegründung am 08.08.2022 (OLGA 25) beim Oberlandesgericht Stuttgart ein. Die Form- und Fristerfordernisse (§§ 517, 519, 520 ZPO) sind eingehalten worden.
B. Die Berufung ist unbegründet.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung des sogenannten großen Schadensersatzes aus §§ 826, 31, 831 BGB oder aus §§ 823 Abs. 2, 31, 831 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, der mit dem Hauptantrag zu 1 geltend gemacht wird, zu (dazu unter Ziffer I.).
Auch ein Anspruch auf Ersatz eines sogenannten Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 533/21; VIa ZR 1031/22; VIa ZR 335/21, jeweils zitiert nach juris) kommt nicht in Betracht (dazu unter Ziffer II.).
I. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung des großen Schadensersatzes zu.
1. Für sämtliche Fahrzeuge des Motortyps EA 288 der Marken Volkswagen PKW, AUDI, Seat und Skoda gibt es keinen amtlichen Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) im Zusammenhang mit ihrem Emissionsverhalten, insbesondere nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Vorhandensein eines Rückrufbescheids ist zwar nicht Voraussetzung für eine Haftung nach § 826 BGB, dennoch ist ein solcher Rückrufbescheid ein gewichtiges Indiz für das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung.
2. Bereits die Untersuchungskommission "Volkswagen" hat sich eingehend mit den EA 288-Motoren beschäftigt (vgl. Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen", S. 12 ff.; Anlage B 1 zur Klageerwiderung vom 23.04.2022). Unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung haben die Messungen des KBA zu variierten Prüfbedingungen gezeigt, dass das bei den EA 288-Motoren verwendete Abgasnachbehandlungssystem bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhält.
3. Auch Diskrepanzen zwischen bei Fahrten im Realbetrieb gemessenen Stickoxidwerten und den auf dem Prüfstand maßgeblichen Werten begründen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Dies entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, juris; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 2/21, juris Rn. 30). Erst recht bieten sie keinen Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Handeln der Beklagten und der für sie handelnden Personen.
4. Dass die Implementierung eines Thermofensters jedenfalls ohne Hinzutreten zusätzlicher Umstände dem Verhalten des Herstellers noch kein besonders verwerfliches Gepräge im Sinne von § 826 BGB gibt, entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 30; Beschluss vom 29. September 2021 - VII ZR 223/20, juris Rn. 12; Beschluss vom 12. Januar 2022 - VII ZR 424/21, juris Rn. 27 ff.). Solche zusätzlichen Umstände sind von der insofern darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei weder vorgetragen worden noch sind diese sonst ersichtlich. Es ist auch nicht festzustellen, dass das KBA insoweit im Typgenehmigungsverfahren getäuscht wurde, da Anhaltspunkte für einen entsprechenden Irrtum des KBA über das Emissionsverhalten betreffende und für die Erteilung der EG-Typgenehmigung relevante Umstände fehlen, insbesondere für eine Fehlvorstellung des KBA darüber, dass die AGR temperaturabhängig erfolgt. Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA folgen keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinricht...