Leitsatz (amtlich)

1. Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 826 BGB bei Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer prüfzyklusnah bedateten unzulässigen Abschalteinrichtung.

2. Zum Umfang einer sekundären Darlegungslast der Herstellerin betreffend Kenntnis ihrer Repräsentanten (analog § 31 BGB).

3. Zur Tenorierung von Prozesszinsen (§ 291 BGB), wenn im Wege der Vorteilsausgleichung abzusetzende Nutzungen teilweise erst nach Rechtshängigkeit gezogen worden sind.

4. Zu den Voraussetzungen für die Feststellung von Annahmeverzug (hier verneint).

 

Normenkette

BGB §§ 31, 291, 293-295, 826

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 12.12.2019; Aktenzeichen 30 O 120/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.12.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 30. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart, Az. 30 O 120/19, abgeändert und die Entscheidungsformel wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.880,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. aus 32.620,97 EUR von 04.06.2019 bis 23.03.2021 sowie aus noch 29.880,84 EUR seit 24.03.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5 3,0 TDI clean diesel quattro mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer xxx.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das in Ziff. 1 genannte Urteil zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtzügen werden gegeneinander aufgehoben.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung mit Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 65.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Kraftfahrzeugs der Marke Audi Q5 TDI auf Schadensersatz in Anspruch, weil er der Auffassung ist, das Inverkehrbringen dieses Fahrzeugs mit einer Abschalteinrichtung erfülle die Voraussetzungen u. a. des § 826 BGB. Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

1. Das Fahrzeug mit Erstzulassung 2014 wurde - wie auch der verbaute Motor (3,0l V6 TDI; die exakte Motortypbezeichnung ist streitig) - von der Beklagten entwickelt und hergestellt. Es ist nach Emissionsklasse Euro 6 plus typgenehmigt und - wie zahlreiche von der Beklagten produzierte Fahrzeuge - von einer Rückrufanordnung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen, die eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der so genannten "Aufheizstrategie" zum Gegenstand hat.

Es weist zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Kilometerstand von 131.000 auf.

2. Der Kläger erwarb dieses Fahrzeug im Oktober 2014 von der Z. GmbH als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis von 62.774,88 EUR.

Mit Schreiben vom 18.04.2019 hat der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Kaufpreiserstattung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs aufgefordert.

3. Der Kläger hatte in erster Instanz Abschalteinrichtungen in Form eines so genannten "Thermofenster" sowie einer unzulässigen Einschränkung der AdBlue-Dosierung beim SCR-Katalysator behauptet. Der reale Fahrbetrieb werde von der Software erkannt, die Abschalteinrichtung aktiviert und es komme zu einem deutlich höheren Schadstoffausstoß als auf dem Prüfstand.

Von der Implementierung der Abschalteinrichtungen hätten Mitglieder des Vorstands bzw. der Führungsebene der Beklagten frühzeitig Kenntnis erlangt, insbesondere der frühere Vorstandsvorsitzende U. T.. Die Beklagte habe diese Abschalteinrichtungen in zahlreichen (weltweit über 120.000) mit dem streitgegenständlichen Motor und ähnlichen Motoren ausgerüsteten Fahrzeugen genutzt, um das KBA als Typgenehmigungsbehörde über die Erfüllung der einschlägigen Emissionsnormen zu täuschen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen sowie zum Zwecke der unredlichen und unrechtmäßigen Gewinnmaximierung.

Ihm sei es beim Fahrzeugerwerb u. a. auf Umweltaspekte angekommen, nicht zuletzt mit Blick auf einen späteren Weiterverkauf des Fahrzeugs. Wichtig sei ihm auch der Kraftstoffverbrauch gewesen.

Das Fahrzeug weise aufgrund dieser Bemakelung einen merkantilen Minderwert auf und sei nahezu unverkäuflich.

3. Der Kläger hatte in erster Instanz beantragt:

1.) Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für alle Schäden, die aus der Manipulation der Schadstoffemissionswerte (Aggregat EA897evo) des Fahrzeugs Audi Q5 3,0 TDI clean diesel quattro mit der FIN xxx durch die Verwendung von im Fahrbetrieb abgeschalteter Abgasreinigungseinrichtungen ("defeat device") resultieren.

2.) Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.994,04 EUR f...

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