Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 27.04.2022; Aktenzeichen 47 O 327/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27.04.2022 - 47 O 327/21 - wie folgt geändert und neu gefasst.
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag Nr. ... im Zusammenhang mit der Schadennummer ... verpflichtet ist, die Kosten der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Klagepartei gegen die B. AG aus dem Kauf eines B. 325d (FIN: ...) und der unterstellten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs auf der Grundlage eines Gegenstands- bzw. Streitwerts von 25.130,00 EUR zu tragen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 2/11 und die Beklagte 9/11. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 11.000 EUR (Berufung: bis 9.000 EUR; Anschlussberufung bis 2.000 EUR).
Gründe
I. Gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wird von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat zum Teil Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich in Ansehung des erstinstanzlichen Vorbringens und vor dem Hintergrund der Angriffe der Berufung überwiegend als richtig.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere begegnet der geltend gemachte Feststellungsantrag (Antrag Ziff. 1) keinen Bedenken (vgl. Schneider in Harbauer, ARB 8. Aufl. ARB 2010 § 20 Rn. 11).
2. Der Kläger kann von der Beklagten Deckungsschutz für die begehrte außergerichtliche und erstinstanzliche Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber der B. AG für einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB beanspruchen. In der vom Kläger genommenen Rechtsschutzversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung der Beklagten (im Folgenden: ARB 2007) zugrunde liegen, besteht ein Anspruch auf Rechtsschutz nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles, im Schadenersatz-Rechtsschutz von dem Schadenereignis an, das dem Anspruch zugrunde liegt.
Der Kläger hat das Fahrzeug BMW 325d mit einem darin verbauten Motor der Kennung N57 am 26.04.2012 während des Bestehens des Versicherungsvertrags erworben.
3. Mit dem Landgericht ist ein Rechtsschutzfall anzunehmen. Dieser liegt im Erwerb des Fahrzeugs mit einer - behauptet - unzulässigen Abschaltvorrichtung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Versicherungsnehmer nur solche Ursachen als für den Beginn des Versicherungsschutzes maßgebende Ereignisse verstehen, die der Schadensersatzpflichtige, gegen den er Ansprüche erhebt, zurechenbar gesetzt hat und die den Eintritt irgendeines Schadens, den er von diesem ersetzt bekommen will, nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich machen. Dies ist der Erwerb des Fahrzeugs. Erst zu diesem Zeitpunkt kann es infolge der manipulierten Software zu einer Wertminderung desselben und einem Entzug von dessen Betriebserlaubnis, mithin zu einer nachteiligen Einwirkung auf die Vermögenslage des Klägers kommen (vgl. dazu OLG Köln, Beschluss vom 30.03.2017 - 9 U 182/16, BeckRS 2017, 148924).
Ob der Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers für den gegenüber dem Hersteller geltend zu machenden Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB schlüssig und beweisbar ist, ist für den Eintritt des Versicherungsfalls unerheblich. Diese Frage ist nur für die Erfolgsaussicht von Bedeutung (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 19.03.2003 - IV ZR 139/01, r+s 2003, 363 unter 1 a a.E.).
4. a) Eine Deckungsverpflichtung der Beklagten folgt nicht bereits aus dem außergerichtlichen Schreiben vom 03.10.2020 (Anlage K 3, Bl. 9 eAkteLG, Anlagenheft Kläger). Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich dabei nicht um einen (bindenden) Stichentscheid.
Denn § 18 ARB 2007 sieht lediglich die Durchführung eines Schiedsgutachtenverfahrens bei der Ablehnung des Rechtsschutzes durch den Versicherer vor, nicht jedoch die Durchführung eines Stichentscheidsverfahrens. Das ergibt sich auch bereits aus der Deckungsablehnung der Beklagten vom 29.09.2020 (Anlage K 2, Bl. 6 eAkteLG, Anlagenheft Kläger), in der auf die Möglichkeit der Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens hingewiesen wurde.
Die Regelung in § 18 ARB 2007 ist wirksam. Sie ist - insbesondere mit Blick auf die in Abs. 5 enthaltene Kostenregelung - entgegen der Auffassung des Klägers weder wegen eines Verstoßes gegen § 128 VVG nach § 129 VVG noch wegen des Verbots überraschender Klauseln oder wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers unwirksam.
aa) Nach § 128 S. 1 VVG hat der Versicherungsvertrag ein Gutachterverfahren oder ein anderes Verfahren mit vergleichbaren Garantien für die Unparteilichkeit vorzusehen, in dem Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien über die Erfolgsaussichten oder die...