Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob ein Software-Update geeignet ist, einen dem Grunde nach gegebenen Anspruch auf Differenzschadensersatz im Wege der Vorteilsausgleichung zu reduzieren oder entfallen zu lassen, hängt von der Frage ab, ob das Software-Update die - an der objektiven Rechtslage zu messende - latente Gefahr einer Betriebsuntersagung signifikant reduziert. Soweit nach dem Update unzulässige Abschalteinrichtungen auf dem Fahrzeug verbleiben, besteht die Gefahr einer Betriebsuntersagung objektiv-rechtlich fort, weshalb der Umstand, dass andere Abschalteinrichtungen entfernt wurden, nicht zu einer Reduzierung des Schadens führen (§ 287 ZPO). Dabei ist der Umstand, dass die Zulassungsbehörde und der Hersteller die objektive Rechtslage falsch einschätzen, im Rahmen der Vorteilsausgleichung mit Blick auf das insoweit maßgebliche objektive Fortbestehen der Stilllegungsgefahr unerheblich.
2. Die Klagepartei in einem "Abgasfall", die ihren Schaden auf verschiedene Arten berechnen möchte, muss eine Wahl treffen und dem Gericht vorgeben, in welcher Rangfolge sie ihren Anspruch auf die eine oder die andere Berechnungsart stützt.
3. Beantragt die Klagepartei ausdrücklich nur auf den großen Schadensersatz, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, scheidet die Annahme, dass die Partei schlüssig hilfsweise zugleich auf die Zuerkennung von Differenzschaden beantrage, im Regelfall aus.
4. Vor diesem Hintergrund kann in einem Fall, in welchem die Klagepartei ausdrücklich nur auf den großen Schadensersatz beantragt, eine Erledigung des Anspruchs auf Differenzschadensersatz (in Folge der Weiternutzung des Fahrzeugs) erst nach erstmaliger zumindest hilfsweiser Geltendmachung dieser Berechnungsart eintreten.
Normenkette
BGB §§ 242, 254, 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 17.06.2022; Aktenzeichen 11 O 288/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.06.2022, Az. 11 O 288/19, - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.321,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 20.06.2024 zu bezahlen.
Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 461,77 EUR erledigt hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz haben die Klagepartei 94%, die Beklagte 6% zu tragen; von den Kosten II. Instanz haben die Klagepartei 69%, die Beklagte 31% zu tragen.
3. Dieses Urteil und - soweit es nicht abgeändert wurde - das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 22.000 EUR
Gründe
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs, da dieses von der Beklagten mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen worden sei.
Die Klagepartei kaufte das streitgegenständliche Fahrzeug Mercedes-Benz C 200 CDI BlueEfficiency am 20.02.2015 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten mit einer damaligen Laufleistung von 16.475 km zu einem Preis von 30.100 EUR. Das Fahrzeug war von der Beklagten unter Verwendung eines Motors mit der Bezeichnung OM 651 hergestellt worden und verfügt über eine EG-Typgenehmigung nach der Schadstoffklasse Euro 5.
In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert.
Weiter verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug über eine sogenannte "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR), auch als "geregeltes Kühlmittelthermostat" bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt.
Über ein SCR-System verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug nicht.
Erstinstanzlich hat die Klagepartei beantragt für Recht zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.737,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus einem Betrag in Höhe von 30.100,00 EUR seit dem 20.02.2015 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrze...