Verfahrensgang

LG Ravensburg (Urteil vom 21.11.1996; Aktenzeichen 3 O 1140/94)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten zu Nr. 1 u. 2 wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 21.11.1996 - 3 O 1140/94 - wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagten Nr. 1 u. 2 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 65.000 DM zu bezahlen nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 09.07.1994.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten Nr. 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen künftigen materiellen und gegenwärtig noch nicht überschaubaren, immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der fehlerhaften Behandlung anlässlich ihrer Geburt im Kreiskrankenhaus L. entstehen wird, soweit nicht Ersatzansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten Nr. 1 u. 2 wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen

im ersten Rechtszug

die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin diese selbst zu 5/12 und die Beklagten Nr. 1 u. 2 zu 7/12 als Gesamtschuldner, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten Nr. 1 u. 2 die Klägerin zu 1/8 und die Beklagten Nr. 1 u. 2 zu 7/8, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten Nr. 3 die Klägerin in vollem Umfang,

im zweiten Rechtszug

die Klägerin 1/8 und die Beklagten 7/8 als Gesamtschuldner.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten Nr. 1 u. 2 können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 87.600 abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Streitwert für beide Rechtszüge und Beschwer der Beklagten Nr. 1 u. 2: 150.000 DM

Beschwer der Klägerin: 20.000 DM

 

Tatbestand

Die am 03.04.1986 geborene Klägerin nimmt den Beklagten Nr. 1 als Träger des Kreiskrankenhauses L. und den Beklagten Nr. 2 als damaligen Leiter der geburtshilflichen Abteilung auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat bei ihrer Geburt eine Armplexuslähmung rechts sowie ein diskretes Homer Syndrom erlitten, die sie auf eine unzulängliche geburtshilfliche Betreuung zurückführt.

Die seinerzeit 37 Jahre alte Mutter der Klägerin begab sich in der Nacht zum 03.04.1986 mit leichter Wehentätigkeit in das Kreiskrankenhaus L., wo sie gegen 1.15 Uhr von der Hebamme H.B. stationär aufgenommen wurde. Da sie die deutsche Sprache nur bruchstückhaft beherrschte, war eine Verständigung kaum möglich. Sie war aber schon während der Schwangerschaft ärztlich vom Beklagten Nr. 2 betreut worden, so dass die für die Geburtshilfe wesentlichen Daten aus der Schwangerschaft bekannt waren, u.a. auch, dass sie als 19-jährige 1968 in der Türkei einen Sohn auf normalem Wege zur Welt gebracht hatte.

Die bei der Aufnahmeuntersuchung von der Hebamme dokumentierten Befunde waren normal: Die Muttermundsweite ist mit 1-2 cm angegeben, der Kopf als "sehr hoch" stehend beschrieben. Das ab 1.20 Uhr abgeleitete Kardiotokogramm (künftig: CTG) war bis gegen 4.40 Uhr unauffällig. Gegen 5.00 Uhr zeigten sich im Zusammenhang mit dem im Partogramm vermerkten Blasensprung erstmals auffällige Herztöne, die die Hebamme veranlassten, den Beklagten Nr. 2 zu rufen, der wenig später die Geburtsleitung übernahm. Der Muttermund hatte sich zu dieser Zeit auf etwa 6 cm eröffnet, der Kopf stand noch im Beckeneingang.

Nach vorübergehender Erholung der Herztöne kam es zwischen 5.30 Uhr und 5.40 Uhr zu kurzfristigen, flachen Herztonabfüllen während bzw. nach einer Wehe und in der Folge bis 5.45 Uhr zu einer breiten, über 5 Minuten dauernden Dezeleration. Der Beklagte Nr. 2 entschloss sich wegen des Verdachts auf eine intrauterine Asphyxie zu einer schnellen Beendigung der Geburt mittels Vakuumextraktion.

Nach den Eintragungen im Anästhesieprotokoll wurde um 5.55 Uhr eine Intubationsnarkose eingeleitet. Die Vakuumextraktion erfolgte vom Beckeneingang aus erster vorderer Hinterhauptlage. Nach der Entwicklung des Kopfes kam zu zur Schulterdystokie. Um 6.18 Uhr war die Geburt der Klägerin beendet.

Die Indikation zur Vakuumextraktion hat der Beklagte Nr. 2 im Geburtsprotokoll wie folgt festgehalten: "Dip II, Kopf im Beckeneingang, Verengung des Interspinalraums durch Einsprung der Spinae, spitzer Schaumbogen". Zur Nachgeburtsperiode heißt es weiter: "Plazenta spontan und vollständig, Damm intakt". Der Verlauf der Vakuumextraktion ist im Geburtsprotokoll nicht beschrieben; auch ist weder die Schulterdystokie erwähnt, noch das Vorgehen zu ihrer Lösung.

Die Klägerin wog bei ihrer Geburt 3.400 g. Die APGAR-Werte sind mit 4/7/8 angegeben, der PH aus der Nabelschnurarterie mit 7,05. Die Klägerin wurde etwa 4 Minuten reanimiert. Der unmittelbar nach der Geburt geäußerte Verdacht auf eine Erbsche Lähmung des rechten Armes ist im Geburtsprotokoll vermerkt. Eine konsilliarische Untersuchung der Universitätskinderklinik U am 08.04.1986 bestätigte die Diagnose einer oberen und unteren Plexuslähmung rechts, ferner ein diskretes Homer Syndrom rechts.

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