Leitsatz (amtlich)
1. Die in einem Standard-Formularvertrag zwischen nicht gewerblich handelnden Parteien eines Gebrauchtwagenkaufvertrags verwendete Klausel, wonach Ansprüche aus Sachmängelhaftung gegen Dritte an den Käufer abgetreten werden, führt nicht zum Verlust deliktischer Ansprüche des Verkäufers gegen den Dritten.
2. Der Vorwurf, die Klagepartei in einem "Dieselfall" habe ihre Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 Abs. 2, Satz 1, Fall 2 BGB) verletzt, weil sie das Fahrzeug unter Wert verkauft habe, ist nur dann begründet, wenn eine Unterschreitung des Wertes gegeben und für einen privaten Verkäufer erkennbar war, was der hierfür primär belastete Hersteller darzulegen hat.
Normenkette
BGB §§ 254, 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 29.03.2022; Aktenzeichen 28 O 555/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.03.2022, Az. 28 O 555/21, - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 2.850 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.12.2023 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten I. Instanz haben der Kläger 87%, die Beklagte 13% zu tragen; von den Kosten II. Instanz haben der Kläger 74%, die Beklagte 26% zu tragen.
3. Dieses Urteil und - soweit es nicht abgeändert wurde - das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 25.000 EUR
Gründe
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs, da dieses von der Beklagten mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen worden sei.
Die Klagepartei kaufte das streitgegenständliche Fahrzeug Mercedes-Benz B 200 CDI am 19.12.2012 von der Beklagten mit einer damaligen Laufleistung von 9.687 km zu einem Preis von 28.500 EUR. Das Fahrzeug war von der Beklagten unter Verwendung eines Motors mit der Bezeichnung OM 651 hergestellt worden und verfügt über eine EG-Typgenehmigung nach der Schadstoffklasse Euro 5.
In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert.
Weiter verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug über eine sogenannte "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR), auch als "geregeltes Kühlmittelthermostat" bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt.
Erstinstanzlich hat die Klagepartei beantragt für Recht zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 20.370,26 nebst Zinsen aus Euro 20.370,26 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.12.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Daimler B-Klasse, FIN: ....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 08.12.2020 in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.348,27 vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
B. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, der Klagepartei stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil schon die objektiven Voraussetzungen einer Haftung aus § 826 BGB nicht dargetan seien und vertragliche Ansprüche nicht geltend gemacht würden.
C. Gegen dieses Urteil hat die Klagepartei Berufung eingelegt, mit welcher sie zunächst ihr ursprüngliches, um einen Anspruch auf Deliktszinsen erweitertes, Begehren weiterverfolgt hat. Zuletzt hat die Klagepartei in der Hauptsache nurmehr den Anspruch auf Differenzschadensersatz geltend gemacht.
Die Klagepartei beantragt - unter Klagerücknahme hinsichtlich der erst zweitinstanzlich geltend gemachten Deliktszinsen und Berufungsrücknahme im Übrigen - zuletzt:
1. Die Beklage wird verurteilt, an den Kläger Euro 2.850,00 zu bezahlen, nebst Zinsen ...