Entscheidungsstichwort (Thema)

Hauptsacheverfahren als mutwillige Rechtsverfolgung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der bedürftige Beteiligte im Wege der einstweiligen Anordnung eine auf Kontakt- und Näherungsverbote gerichtete gerichtliche Maßnahme erwirkt, so ist in der Regel zu erwarten, dass bereits dies zu einer nicht nur vorübergehenden Entspannung und Befriedung der Beteiligten führt. Solange sich diese Erwartung nicht als unzutreffend erweist, ist die Verfolgung des gleichen Ziels im Hauptsacheverfahren mutwillig.

 

Normenkette

FamFG § 78 Abs. 1, § 51 Abs. 3 S. 1, § 214 Abs. 1 S. 2; ZPO § 114 Abs. 1; GewSchG § 1

 

Verfahrensgang

AG Ludwigshafen (Beschluss vom 21.10.2009; Aktenzeichen 5d F 293/09)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin hat mit dem Antragsgegner in der von ihr angemieteten

Wohnung zusammengelebt. Die Beziehung endete am 25.8.2009. Da der Antragsgegner sich weigerte, die Wohnung zu verlassen, erließ die zuständige Polizeibehörde gegen ihn am 25.8. eine bis 6.9.2009 befristete Polizeiverfügung zum Schutz vor Gewalt in engen sozialen Beziehungen.

Am 1.9.2009 beantragte die Antragstellerin beim AG in der Hauptsache und im Verfahren der einstweiligen Anordnung den Erlass gericht-licher Maßnahmen nach § 1 GewSchG gegen den Antragsgegner und suchte um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach.

Die einstweilige Anordnung wurde noch am selben Tag erlassen (Beschluss AG - Familiengericht - Ludwigshafen am Rhein 5d F 249/09).

Das Familiengericht hat den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Hauptsacheverfahren abgewiesen. Die parallele Rechtsverfolgung sowohl im Hauptsache- als auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung sei mutwillig. Der Antragstellerin sei zuzumuten, vor Einleitung eines Hauptsacheverfahrens zunächst abzuwarten, ob ihr Anspruch im kostengünstigeren Verfahren der einstweiligen Anordnung durchzusetzen sei.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, der das Familiengericht nicht abgeholfen hat.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 76 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 569 ZPO).

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache entscheidet der Senat über die Beschwerde gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 568 Satz 2 ZPO in seiner im Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen Besetzung.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Senat teilt die Auffassung des Familiengerichts, wonach vorliegend die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das gleichzeitig mit einem auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichteten Verfahren der einstweiligen Anordnung anhängig gemachten Hauptsacheverfahren zu versagen ist, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung (derzeit) mutwillig erscheint (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

Gewaltschutzsachen sind Familiensachen. Da das Verfahren am 1.9.2009 eingeleitet wurde, ist auf das Verfahren das zum 1.9.2009 in Kraft getretenen Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anzuwenden (Art. 111 FGG-RG). Danach sind Verfahren der einstweiligen Anordnung selbständige Verfahren (§ 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG), mithin nicht mehr (wie nach der bis zum 31.8.2009 geltenden Gesetzeslage - §§ 620a Abs. 2, 621e ZPO a.F.) von der Anhängigkeit eines gleichartigen Hauptsacheverfahrens abhängig.

Dies ermöglicht es den um Rechtsschutz nachsuchenden Beteiligten, im Einzelfall zu prüfen und abzuwägen, welche(n) prozessuale(n) Weg(e) sie zum Erreichen ihres Begehrens beschreiten wollen.

Ein nicht hilfsbedürftiger Beteiligter, der die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen hat, wird dabei regelmäßig bestrebt sein, den für ihn kostengünstigsten Weg zu wählen, wenn damit seinem Anliegen ausreichend Rechnung getragen werden kann.

Ein bedürftiger Beteiligter, der für seine Rechtsverfolgung staatliche Sozialleistungen in Anspruch nehmen will, hat die gleichen Überlegungen anzustellen, will er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig.

Wer - wie die Antragstellerin - Bedrohungen und Misshandlungen durch eine andere Person bereits erfahren und weiter zu befürchten hat, kann effektiven Rechtsschutz durch Anordnung gerichtlicher Maßnahmen, insbesondere Kontakt- und Näherungsverbote i.S.d. § 1 GewSchG, nur im Wege einer einstweiligen Anordnung erlangen. Das Hauptsacheverfahren wird hierfür regelmäßig zu langwierig und schwerfällig sein; Entscheidungen in der Hauptsache werden regelmäßig zu spät kommen.

Dem trägt auch § 214 Abs. 1 Satz 2 FamFG Rechnung, wonach in der Regel ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden durch einstweilige Anordnung vorliegt, wenn bereits Verletzungshandlungen i.S.d. § 1 GewSchG erfolgt sind.

Eine verständige nicht hilfsbedürftige Partei in der ...

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