Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung der Vorschriften über den Ort von Dienstleistungen nach dem Recht vor dem 1.1.2010 (Art. 9 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie, ab 1.1.2007 Art. 43 ff. MwStSystRL).
Die in Polen ansässige Klägerin erbrachte für einen Kunden mit Sitz in Zypern Dienstleistungen auf dem Gebiet der technischen Untersuchungen und Analysen und führte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und der technischen Wissenschaften durch. Die Umsätze betrafen insbesondere Untersuchungen und Messungen von Emissionen, darunter Untersuchungen im Zusammenhang mit der Emission von Kohlenstoffdioxid (CO2) und dem Handel mit CO2-Emissionen, die Anfertigung und Kontrolle der Dokumentation der genannten Arbeiten sowie die Analyse potenzieller Verschmutzungsquellen, die mit der Herstellung von hauptsächlich aus Holz bestehenden Erzeugnissen verbunden sind. Diese Arbeiten wurden zum Zweck der Erlangung neuer Kenntnisse und neuen technologischen Wissens durchgeführt, das auf Herstellung neuer Stoffe, Erzeugnisse und Anlagen sowie die Anwendung neuer technologischer
Verfahren in Produktionsprozessen gerichtet ist.
Die Klägerin war der Auffassung, dass ihre Leistungen am Sitzort des Empfängers in Zypern steuerbar seien. Es handele sich um Ingenieursarbeiten, deren Ort sich nach nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie bestimme. Das polnische Finanzamt meinte, es handele sich um Tätigkeiten auf dem Gebiet der Wissenschaften und der Ort der Dienstleistung ergebe sich demgemäß aus Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie, der dann in Polen liege.
Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob Dienstleistungen wie Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Umwelt- und Technologiebereich, die die von Ingenieuren erbracht werden, als "Leistungen von Ingenieuren" im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der 6. EG-Richtlinie oder als "Tätigkeiten auf dem Gebiet der Wissenschaft" im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c erster Gedankenstrich der Richtlinie einzustufen sind.
Entscheidung
Der EuGH hat die streitigen Leistungen als "Leistungen von Ingenieuren" im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie eingestuft. Mit Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung (vgl. EuGH, Urteil v. 16.9.1997 (von Hoffmann) hat der EuGH bestätigt, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der 6. EG-Richtlinie sich nicht auf Berufe, wie die des Rechtsanwalts, Beraters, Buchprüfers oder Ingenieurs, bezieht, sondern auf Leistungen. Der Unionsgesetzgeber zieht die in dieser Bestimmung aufgeführten Berufe heran, um die dort angesprochenen Arten von Leistungen zu definieren. Daher war mit dem EuGH- Urteil zu klären, ob die streitigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen des Ingenieursberufs erbracht werden. Hierzu stellt der EuGH (quasi als Tatsachenentscheidung) fest, dass die Ausübung des Ingenieursberufs Leistungen umfasst, bei denen es nicht nur darum geht, Kenntnisse und bestehende Prozesse auf konkrete Probleme anzuwenden, sondern auch darum, neue Kenntnisse zu erwerben und neue Prozesse zur Lösung dieser oder neuer Probleme zu entwickeln.
Hinweis
Das Urteil hat Bedeutung für die Auslegung von § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG a.F. bzw. § 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 UStG i.d.F. ab 1.1.2010. Die deutsche Rechtslage wird mit dem Urteil bestätigt. Nach Abschn. 3a.9 Abs. 13 UStAE sind Ingenieurleistungen alle sonstigen Leistungen, die zum Berufsbild eines Ingenieurs gehören, also nicht nur beratende Tätigkeiten. Es ist nicht erforderlich, dass der leistende Unternehmer Ingenieur ist.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 07.10.2010, C-222/09