Leitsatz (amtlich)
1. Nachbarrechte des einzelnen Wohnungs- oder Teileigentümers haben ihre Grundlage im Sondereigentum iSd § 1 WEG. Aus dem gemeinschaftlichen Eigentum fließende Nachbarrechte können nur unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 WEG vom einzelnen Sondereigentümer geltend gemacht werden.
2. Die Anwendung der Abstandflächenvorschriften der BauO NW setzt voraus, daß die planungsrechtliche Frage der Bauweise entschieden ist.
3. Die Frage, ob in der geschlossenen Bauweise die vorhandene Bebauung eine Abweichung von dem Gebot erfordert, Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand zu errichten, beurteilt sich nicht nach den landesrechtlichen Abstandflächenvorschriften. Den Bauaufsichtsbehörden steht insoweit kein Ermessen zu.
4. Eine Abweichung gemäß § 22 Abs. 3 BauNVO kann – außer durch zwingende Vorschriften, etwa des Ordnungsrechts – nur aus städtebaulichen Gründen erfordert sein.
5. Zur Reichweite der Überleitungsvorschrift des Art. 21 Satz 2 4. VwGOÄndG.
6. Zum Streitwert bei baurechtlichen Nachbarstreitigkeiten von Sondereigentümern.
Normenkette
BauNVO § 22; BauO NW § 6; WEG §§ 1, 21; 4. VwGOÄndG Art. 21 S. 2; GKG § 13 Abs. 1 S. 1; ZPO § 5
Verfahrensgang
VG Düsseldorf (Aktenzeichen 13 L 1430/90) |
Tenor
Die Antragsteller haben in unterschiedlichem Umfang Eigentum im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes an einem Wohn- und Geschäftshaus in der Innenstadt von R. Sie wenden sich gegen die Errichtung eines zweigeschossigen Anbaues an das Wohn- und Geschäftshaus des Beigeladenen auf dem Nachbargrundstück. Dieser wird – wie das im rückwärtigen Grundstücksbereich bereits vorhandene Gebäude – in Grenzbauweise zum Grundstück der Antragsteller errichtet und an der Grenze eine Höhe von 7,77 m haben.
Das VG hat die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Stillegung der Bauarbeiten abgelehnt. Die Antragsteller zu 2.–16. haben ihre Beschwerden zurückgenommen. Die Beschwerde des Antragstellers zu 1. hatte keinen Erfolg.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers zu 1. ist zulässig, auch nachdem durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (4. VwGOÄndG) vom 17.12.1990, BGBl. I S. 2809, der vorläufige Rechtsschutz des Nachbarn gegen die Ausnutzung einer Baugenehmigung in § 80a VwGO zum Teil anders als bisher geregelt ist. Das folgt aus Art. 21 Satz 2 4. VwGOÄndG.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das VG hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller zu 1. hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
1. Der Antragsteller zu 1. kann – wie der Beigeladene zutreffend dargetan hat – ein Einschreiten des Antragsgegners allenfalls insoweit fordern, als er durch das Bauvorhaben des Beigeladenen in seinem Sondereigentum im Sinne des § 1 WEG betroffen wird. Insoweit hat der Antragsteller zu 1. dargelegt, daß er Wohnungseigentümer von zwei Untergeschoßwohnungen und Teileigentümer von im Erdgeschoß gelegenen gewerblichen Räumen des ein-bis fünfgeschossigen Gebäudes auf dem Grundstück B.-Straße 17–21 ist. Hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums wäre der Antragsteller zu 1. nur im Rahmen des § 21 Abs. 2 WEG allein handlungsberechtigt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift („Abwendung eines … unmittelbar drohenden Schadens”) liegen jedoch nicht vor.
Eine ein Einschreiten des Antragsgegners rechtfertigende Beeinträchtigung des Wohnungseigentums des Antragstellers zu 1. durch das Vorhaben des Beigeladenen ist nicht dargetan. Der Antragsteller zu 1. hat lediglich – im erstinstanzlichen Verfahren – eine Beeinträchtigung der Wohnungen im fünfgeschossigen Gebäude mit ihren nach Westen – zum Grundstück des Beigeladenen – orientierten Balkonen geltend gemacht. Der Antragsteller zu 1. hat jedoch lediglich Wohnungseigentum an zwei Untergeschoßwohnungen. Zu deren Lage und Betroffenheit hat er nichts vorgetragen. Sein Hinweis auf sein Teileigentum an dem Grundstück A.-Straße 76–88 liegt ersichtlich neben der Sache. Den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ist zu entnehmen, daß sich die zwei einzigen Untergeschoßwohnungen auf dem Grundstück B.-Straße 17–21 im rückwärtigen Bereich des Gebäudekomplexes befinden und mit ihren Fenstern und Türen ausschließlich nach Süden ausgerichtet sind. Eine Beeinträchtigung durch den nordwestlich davon gelegenen Anbau des Beigeladenen erscheint deshalb ausgeschlossen.
Im übrigen, nämlich hinsichtlich des Teileigentums an gewerblich genutzten Räumen, geht der Senat aufgrund der Baugenehmigungsakten des Antragsgegners davon aus, daß es sich dabei um Räumlichkeiten im Erdgeschoß des fünfstöckigen Gebäudes und im eingeschossigen westlichen Anbau handelt, und zwar im vorderen Bereich um eine Pizzeria und ein Bistro, die sich in den Räumen eines früheren Textilgeschäfts befinden, und im rückwärtigen Bereich um ein China-Restaurant. Auch insoweit kann der Antragsteller zu 1. kein Einschreiten des Antragsgegners verlangen. Der Senat vermag nicht festzustellen, daß die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist und der Antr...