Prof. Dr. Maximilian Zimmer
Rn 5
Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Erbe zuverlässige Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und von seinem Berufungsgrund erlangt hat (Rostock FamRZ 10, 1597); sie beginnt damit erst dann zu laufen, wenn der Erbe nicht nur Kenntnis von dem Erbfall sondern auch von dem konkreten einschlägigen Berufungsgrund (Gesetz, letztwillige Verfügung oder Erbvertrag) hat (Schlesw v 20.6.16 – 3 Wx 96/15). Bei Miterben läuft die Frist für jeden Erben gesondert (. Die Kenntnis setzt das zuverlässige Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann, wenn dem Erben die tatsächlichen und rechtlichen Umstände in so zuverlässiger Weise bekannt geworden sind, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, zu überlegen, ob er die Erbschaft annehmen oder ausschlagen will (Zweibr NJW-RR 06, 1594 [OLG Zweibrücken 23.02.2006 - 3 W 6/06]). Im Fall gesetzlicher Erbfolge ist Kenntnis vom Berufungsgrund erst dann anzunehmen, wenn dem Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung hat oder haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist. Abgerissene Familienbande können es aus der Sicht des Erben nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Erblasser ihn durch letztwillige Verfügung ausschließen wollte und ausgeschlossen hat (Schlesw v 20.6.16 – 3 Wx 96/15). Erlangt der Nacherbe im Erbscheinsverfahren des Vorerben Kenntnis vom Inhalt des Testaments, so setzt diese Kenntnis nicht die Ausschlagungsfrist in Lauf (München ZEV 11, 318 [OLG München 02.12.2010 - 31 Wx 067/10]). Bei einem rechtlich Unkundigen kann uU auch das Fehlen eines Aktivnachlasses oder die Annahme, ein solcher fehle, die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft ausschließen (BayObLG NJW-RR 94, 202). Dabei kommt es auf die Erkenntnisquelle nicht an, wenngleich unüberprüfbare, private Mitteilungen idR nicht ausreichen (BayObLG NJW-RR 94, 202 [BayObLG 26.08.1993 - 1 Z BR 80/93]). Die zuverlässige Kenntnis vom Berufungsgrund fehlt, wenn der durch eine auslegungsbedürftige letztwillige Verfügung berufene Miterbe mit vertretbaren Gründen annimmt, er sei Alleinerbe kraft Gesetzes geworden (München FamRZ 08, 445). Ein Tatsachen- und/oder Rechtsirrtum ist beachtlich; in gleicher Weise schließt ein Irrtum über die Art oder Wirksamkeit der Berufung, der nicht ›von vornherein von der Hand‹ zu weisen ist, die positive Kenntnis vom Berufungsgrund aus (BGH ZErb 00, 232).
Rn 6
Kennen müssen oder grob fahrlässige Unkenntnis steht der Kenntnis nicht gleich; sie verhindert aber den Fristbeginn. Entspr gilt bei sonstiger Unfähigkeit zur Kenntnisnahme.
Rn 7
Für den pflichtteilsberechtigten Erben, dessen Erbteil durch Anordnungen iSd § 2306 beschwert ist, besteht ein Anfechtungsrecht auch dann, wenn er die Folgen der Beschwerung für den Pflichtteil nicht kennt (§ 2306 Rn 10).
Rn 8
Der Erbe hat Kenntnis vom Anfall, wenn er die den Anfall begründenden Tatsachen, wie Tod/Todeserklärung des Erblassers, die verwandtschaftlichen oder ehelichen Verhältnisse und den Wegfall bevorrechtigter Verwandter kennt (Staud/Otte § 1944 Rz 7). Geht der Erbe irrtümlich davon aus, dass die ursprünglich angenommene Berufung zum gesetzlichen Erben durch eine Verfügung von Todes wegen beseitigt wurde, fehlt es an der Kenntnis (Hamm NJW 69, 1355). Dies gilt auch, wenn ein nichtiges Testament, das den Erben von der Erbfolge ausschließt, irrtümlich für wirksam erachtet wird (NK-BGB/Ivo § 1944 Rz 10).
Rn 9
Der Erbe hat Kenntnis vom Berufungsgrund, wenn er weiß, weshalb ihm die Erbschaft angefallen ist und ob er sie als gesetzlicher oder als gewillkürter Erbe erhält (Staud/Otte § 1944 Rz 9). Der Fristbeginn ist ausgeschlossen, wenn dem Erben die Mitteilung des Nachlassgerichts über Anfall und Berufungsgrund zwar zugegangen ist, er sie aber nicht gelesen hat (BayObLGZ 68, 68) oder sie auf Grund körperlicher/geistiger Beeinträchtigung nicht verstanden hat (BayObLG NJW 53, 1431). Private Mitteilungen, die der Erbe nicht überprüfen kann, genügen nicht (BayObLG NJW-RR 94, 202 [BayObLG 26.08.1993 - 1 Z BR 80/93]). Bei gesetzlicher Erbfolge ist neben der Kenntnis des die Erbberechtigung begründenden Familienverhältnisses, wie Ehe und Verwandtschaft, auch die Kenntnis vom Fehlen einer letztwilligen Verfügung, die das gesetzliche Erbrecht ausschließt, erforderlich (BGH NJW-RR 00, 1530 [BGH 05.07.2000 - IV ZR 180/99]).
Rn 10
Bei gewillkürter Erbfolge muss der Erbe davon Kenntnis erlangt haben, dass er durch Verfügung von Todes wegen zum Erben berufen ist; die genaue Kenntnis des ganzen Inhalts der ihn berufenden Verfügung ist nicht erforderlich. Unerheblich ist insb, ob er sie für ein Testament oder einen Erbvertrag hält. Existieren mehrere Verfügungen des Erblassers mit unterschiedlichen Inhalten, sollte der Erbe Kenntnis von dem bestimmten, ihn berufenden Testament haben (MüKo/Leipold § 1944 Rz 4). In diesem Fall beginnt die Frist niemals vor der gerichtlichen Verkü...