Prof. Dr. Gottfried Schiemann
Gesetzestext
(1) Hat der Erblasser den vermachten Gegenstand von einem nach dem Anfall des Vermächtnisses eintretenden bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis an einem Dritten zugewendet, so gilt der erste Vermächtnisnehmer als beschwert.
(2) Auf das Vermächtnis finden die für die Einsetzung eines Nacherben geltenden Vorschriften des § 2102, des § 2106 Abs. 1, des § 2107 und des § 2110 Abs. 1 entsprechende Anwendung.
Rn 1
Ähnl wie der Erblasser mit Vor- und Nacherbschaft mehrere Erben hintereinander einsetzen kann, sieht die Vorschrift die Möglichkeit mehrerer Vermächtnisnehmer in zeitlicher Folge vor, wobei dies auch der mit dem (ersten) Vermächtnis Beschwerte sein kann (Rückvermächtnis). In der kautelarjuristischen Lit findet § 2191 derzeit große Beachtung (vgl Hartmann ZEV 07, 458), jedoch mit zweifelhaftem Recht: Aus der anderen Ausgestaltung des Vermächtnisses ggü der Erbenstellung ergeben sich wichtige Unterschiede des Nachvermächtnisses zur Nacherbschaft. Insb fällt der Vermächtnisgegenstand dem Nachvermächtnisnehmer nicht unmittelbar zu. Vielmehr erwirbt er mit dem Anfall einen Anspruch gegen den Vorvermächtnisnehmer oder dessen Erben auf Erfüllung des Nachvermächtnisses. Das Nachvermächtnis ist somit ein Untervermächtnis des Vorvermächtnisses, das aufschiebend bedingt ist durch das Ereignis, das die Berechtigung des Vorvermächtnisnehmers beendet. Daher kann der Nachvermächtnisnehmer nach Anfall des Vorvermächtnisses und vor Bedingungseintritt die Eintragung einer Vormerkung verlangen, wenn ein Grundstück oder Grundstücksrecht Gegenstand des Nachvermächtnisses ist und der Vorvermächtnisnehmer bereits als Rechtsinhaber eingetragen ist (NK/Horn Rz 17 m Rz 55). Aufgrund des § 2179 genießt der Nachvermächtnisnehmer den Schutz eines Anwartschaftsberechtigten. Die Vererblichkeit dieser Anwartschaft richtet sich allerdings nicht nach der Erbfolgebestimmung für den Nachvermächtnisnehmer sondern für den (ersten) Erblasser mit den Vermutungen der §§ 2069 (vorrangig) und 2074 (vgl § 2177 Rz 1).
Rn 2
Anders als ein sonstiges Untervermächtnis bezieht sich das Nachvermächtnis notwendigerweise auf denselben (›den vermachten‹) Gegenstand wie das Vorvermächtnis. Dies kann allerdings auch ein ›Überrest‹ (dazu ausf NK/Horn Rz 21) oder ein sonstiger Teil dessen sein, was der beschwerte Vorvermächtnisnehmer erhalten hatte (Staud/Otte Rz 3). Teil-Identität genügt insb, wenn Gegenstand des Hauptvermächtnisses ein Sachinbegriff ist. Dann kann sich das Nachvermächtnis auch auf Ersatzstücke für ursprüngliche Bestandteile des Vermächtnisgegenstandes beziehen. Abw von § 2159 erstreckt sich das Nachvermächtnis gem II iVm § 2110 I auf das, was der Vorvermächtnisnehmer durch Anwachsung erworben hat, ferner auf ein etwaiges Ersatzvermächtnis (Staud/Otte aaO).
Rn 3
Die Vorschriften über Vor- und Nacherbschaft sind abgesehen von den in II ausdrücklich genannten auf Vor- und Nachvermächtnis nicht anwendbar (BGHZ 114, 16, 18f). Der Vorvermächtnisnehmer ist daher unbeschränkt verfügungsbefugt. Allerdings ist er aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis zum Nachvermächtnisnehmer zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet (BGHZ aaO 21). Kommt er dieser Anforderung schuldhaft nicht nach, muss er Schadensersatz leisten. Die nach II anwendbaren Vorschriften dienen nur der Auslegung unklarer oder unvollständiger Testamentsbestimmungen: im Zweifel für Ersatz- statt Nachvermächtnis (§ 2102 II) oder für die Kumulierung beider Anordnungen (§ 2102 I), für den Tod des Vorvermächtnisnehmers als Nachvermächtnisfall (§ 2106 I) und für den Vorrang der Abkömmlinge vor dem Nachvermächtnisnehmer (§ 2107). Will der Erblasser den Vorvermächtnisnehmer stärker binden, kann er diesen durch eine Testamentsvollstreckung belasten (NK/Horn Rz 24 mwN). Der reine Vermächtnisvollstrecker für den Vorvermächtnisnehmer kann allerdings nicht ohne Weiteres den Anspruch des Nachvermächtnisnehmers erfüllen (vgl BGH NJW 01, 520 [BGH 18.10.2000 - IV ZR 99/99] und dazu NK/Horn Rz 25 mwN). – Zur Verteilung von Nutzungen sowie von Verwendungen und Lasten vgl §§ 2184, 2185 und Erläuterungen dazu.