Zusammenfassung
Für ein Recht zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund nach einer Verschmelzung bedarf es besonderer Umstände, die die weitere Erbringung der Leistung durch den übernehmenden Rechtsträger unzumutbar machen. An diese Umstände sind aber keine hohen Anforderungen zu stellen.
Sachverhalt
In dem vom OLG München entschiedenen Fall stritten die Parteien über Vergütungsansprüchen. Die Beklagte hatte mit einer GmbH einen Beratungsvertrag sowie einen Vertrag über die Erstellung einer "Interessenanalyse" für ein Fitnessstudio geschlossen. Die beratende GmbH wurde sodann auf eine andere GmbH, die Klägerin, verschmolzen. In der Folge erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung der beiden Verträge. Sie begründete die Kündigung zum einen mit ihrem Wunsch, von einer "Boutique" betreut zu werden, der nach der Verschmelzung auf eine deutlich größere Einheit nicht mehr habe erfüllt werden können. Zum anderen sei Grundvoraussetzung der Vertragsunterzeichnung vor allem der Gebietsschutz hinsichtlich konkurrierender Fitnessstudios eines anderen Unternehmens gewesen, das zwischenzeitlich ebenfalls auf die Klägerin verschmolzen worden war. Da sie nichts mit diesem Unternehmen zu tun habe wolle, habe sie gekündigt. Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und erhob Klage auf Zahlung der Vergütung bis zum Ende der Vertragslaufzeit. Das OLG wies die Klage ab, da es die Kündigung für wirksam hielt.
Hintergrund
Eine Verschmelzung führt gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG zur Gesamtrechtsnachfolge, d.h. alle Rechte und Pflichten der übertragenden Gesellschaft gehen auf die übernehmende Gesellschaft über. Infolge der Verschmelzung wurde die Klägerin dementsprechend neue Vertragspartnerin der Beklagten.
Gem. § 314 Abs. 1 BGB können Dauerschuldverhältnisse ganz generell aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist und ohne dass dies im Vertrag geregelt werden müsste, gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrags nicht zugemutet werden kann. Das OLG stellte zunächst fest, dass die Verschmelzung als solche keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt.
Die beiden von der Beklagten angegebenen Gründe betrachtete das OLG indes als ausreichend für eine außerordentliche Kündigung. Die Folge der Verschmelzung, der Übergang sämtlicher Rechte und Pflichten des übertragenden auf den übernehmenden Rechtsträger, stellt einen Eingriff des Gesetzgebers in die Vertragsfreiheit dar. Vor diesem Hintergrund sind an das Vorliegen eines wichtigen Grundes keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn der Vertragspartner aufgrund der mit der Verschmelzung verbundenen Umstrukturierung mit konkreten nachteiligen Änderungen in der Zusammenarbeit rechnen muss, die nicht ganz unerheblich sind. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Ziele des Vertragspartners, die er mit dem Dauerschuldverhältnis verfolgte, aufgrund der Verschmelzung nicht mehr realisierbar sind. Die unternehmerische Bewertung, ob solche nachteiligen Änderungen zu erwarten sind, unterliegt nicht der gerichtlichen Überprüfung, sofern sie sich nicht als offensichtlich willkürlich darstellt.
Praxishinweis
Mit seiner Entscheidung schloss sich das OLG München der Rechtsprechung des BGH an. Danach stellt die Verschmelzung als solche keinen Kündigungsgrund dar. Für eine außerordentliche Kündigung genügt aber die unternehmerisch begründete Entscheidung, mit dem neuen Vertragspartner nicht zusammenarbeiten zu können. Diese Entscheidung wird gerichtlich nur am Maßstab der Willkür überprüft.
Übernehmende Rechtsträger müssen folglich damit rechnen, dass Dauerschuldverhältnisse des übertragenden Rechtsträgers außerordentlich gekündigt werden.
Wer umgekehrt als Vertragspartner mit einer Verschmelzung konfrontiert wird, muss die Umwandlung auf der Gegenseite nicht unbedingt hinnehmen, sondern kann Dauerschuldverhältnisse ohne hohe Anforderungen außerordentlich kündigen. Das OLG München entschied zudem, dass die außerordentliche Kündigung bereits nach der Unterrichtung über den Abschluss des Verschmelzungsvertrags erklärt werden kann. Ein Zuwarten bis zur Eintragung der Verschmelzung ins Handelsregister ist nicht erforderlich.
Für die Praxis gilt der Hinweis, dass eine Verschmelzung zwar zur Gesamtrechtsnachfolge führt, sodass alle Vertragsbeziehungen zunächst einmal übergehen; Dauerschuldverhältnisse können allerdings aus wichtigem Grund gekündigt werden.
OLG München, Urteil v. 29.8.2022, 33 U 4846/21.