Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn des Laufs von Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsfristen bei Fehlen der Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung. Voraussetzungen für das Ruhen der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB
Leitsatz (amtlich)
A. Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsfristen werden nicht in Gang gesetzt, wenn die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung für das Gericht erkennbar nicht vorliegen (Anschluss an BGH FamRZ 2007, 40). Davon ist auszugehen, wenn dem Gericht Telefonnummern bekannt sind, unter denen ein Elternteil im Ausland erreichbar ist. Dann hat das Gericht dessen Anschrift telefonisch zu ermitteln.
B. Ob und in welchem Ausmaß die elterliche Sorge eines allein sorgeberechtigten Elternteils wegen eines tatsächlichen Hindernisses nach § 1674 BGB ruhen muss, hängt davon ab, ob und in welchem Umfang er bereit ist, geeignete Dritte - hier das Jugendamt - im Wege der Vollmachtserteilung mit der Ausübung der elterlichen Sorge zu betrauen. Soweit hiernach dem Grunde nach für die Ruhensanordnung ein Bedürfnis verbleibt, ist zu prüfen, ob diese aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf Teilgebiete des Sorgerechts zu beschränken ist (Anschluss an BGH FamRZ 2005, 29).
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 185 Nr. 1; BGB § 1674
Verfahrensgang
AG Saarbrücken (Beschluss vom 26.08.2009; Aktenzeichen 54 F 113/09 SO) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG - Familiengericht - in Saarbrücken vom 26.8.2009 - 54 F 113/09 SO - samt des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Familiengericht zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.
3. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Aus der Ehe des Kindesvaters mit der im Juli 2003 verstorbenen Kindesmutter gingen die betroffenen Zwillinge Th. und T., beide geboren am. August 1999, hervor. Der - seit dem Tod der Mutter allein sorgeberechtigte - Vater stimmte einer Fremdunterbringung der Kinder zu, die seit Dezember 2003 in einer professionellen Pflegestelle leben und dort von Frau S.-R. betreut werden.
Mit am 26.5.2009 beim AG - Familiengericht - in Neunkirchen eingegangenem Antrag hat das Kreisjugendamt die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge des Vaters und die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters der Kinder begehrt.
Nach formloser Abgabe an das AG - Familiengericht - in Saarbrücken hat dieses am 26.6.2009 die Sachbearbeiterin des Jugendamtes, die Betreuerin der Kinder und die beiden Kinder persönlich angehört. Das Jugendamt hat zwei Telefonnummern mitgeteilt, unter denen der Vater jederzeit erreichbar sei. Das Familiengericht hat in der Folgezeit versucht, über Anfragen beim Einwohnermeldeamt den Aufenthalt des Vaters zu ermitteln. Am 4.8.2009 hat das Familiengericht vermerkt, dass das Jugendamt telefonisch mitgeteilt habe, dass der Vater mit der Pflegestelle und den Kindern länger telefoniert habe und vereinbart worden sei, dass er sich alle vier Wochen melde.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 26.8.2009, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht das Ruhen der elterlichen Sorge des Vaters für die beiden betroffenen Kinder festgestellt. Mit Beschluss vom 27.8.2009 hat das Familiengericht die öffentliche Zustellung der Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses an den Vater - "unbekannten Aufenthaltes in Algerien" - bewilligt und angeordnet, dass die Zustellung bewirkt ist, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat vergangen ist. Die Benachrichtigung wurde am 2.9.2009 an die Gerichtstafel angeheftet. Mit Verfügung vom 29.10.2009 übersandte das Familiengericht dem Vater formlos an dessen ihm am selben Tage durch das Jugendamt mitgeteilte Adresse in Algerien - u.a. - eine Ausfertigung des Beschlusses vom 26.8.2009.
Mit Schreiben vom 10.12.2009 hat der Vater eine "Stellungnahme und sofortige Beschwerde" beim Familiengericht eingereicht, der das Familiengericht mit Beschluss vom 8.3.2010, auf den Bezug genommen wird, nicht abgeholfen hat.
Mit Verfügung vom 16.3.2010 hat der Senat den Beteiligten mitgeteilt, dass er das Schreiben des Vaters vom 10.12.2009 als Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 26.8.2009 behandelt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnet.
II. Die Senatsentscheidung richtet sich gem. Art. 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG nach den bis zum 31.8.2009 geltenden Vorschriften (vgl. BGH FamRz. 2010, 720 m.w.N.).
Die "Stellungnahme und sofortige Beschwerde" des Vaters vom 10.12.2009 ist als Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 26.8.2009 zu behandeln, weil sich der Vater auf die Übersendungsverfügung des Familiengerichts vom 29.10.2009 bezieht, mit der eine Ausfertigung dieses Beschlusses übersandt wurde, und der - nicht anwaltlich vertretene - Vater in jener Eingabe außerdem erklärt, mit der Bestellung des Jugendamtes zum Vormund der Kinder nicht einverstanden zu se...