Leitsatz (amtlich)

Wendet der betreuende Elternteil erlittene häusliche Gewalt ein, so verstärkt die Ausstrahlungswirkung von Art. 31 der Istanbul-Konvention zum einen die Amtsermittlungspflicht des Familiengerichts in diese Richtung, zum anderen wirkt jene Norm auch materiell-rechtlich auf die Voraussetzungen der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge (hier nach § 1626a Abs. 2 BGB) ein; insbesondere darf es diesem Elternteil nicht als mangelnde Kooperationsbereitschaft ausgelegt werden, wenn er sich gegenüber dem anderen Elternteil aufgrund - erwiesenermaßen - erlebter häuslicher Gewalt ablehnend verhält (vgl. EGMR FamRZ 2023, 277). Außerdem kann der gewaltbetroffene Elternteil in der Regel nicht zur einer "Restkooperation" mit dem anderen Elternteil verpflichtet werden, sodass selbst eine ihm vom anderen Elternteil umfassend erteilte Sorgevollmacht eine Alleinsorge des betreuenden Elternteils häufig nicht entbehrlich machen wird.

 

Normenkette

BGB § 1626a Abs. 2; Istanbul-Konvention Art. 31; FamFG § 26

 

Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Beschluss vom 04.01.2024; Aktenzeichen 40 F 345/20 SO)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarbrücken vom 4. Januar 2024 - 40 F 345/20 SO - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht - Familiengericht - in Saarbrücken zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

 

Gründe

I. Aus der im ersten Quartal 2018 begonnenen Beziehung zwischen dem 1985 geborenen Antragsteller (fortan: Vater) und der 1989 geborenen Antragsgegnerin (Mutter), die weder miteinander verheiratet waren noch sind, ging am... 2019 die beteiligte, heute 4 Jahre alte Tochter L. S. hervor. Der Vater hatte seine Vaterschaft am 30. August 2019 zu einem Zeitpunkt anerkannt, zu dem die Eltern bereits - seit Juni 2019 - zusammenlebten. Sorgeerklärungen gaben die Eltern nicht ab; die Mutter war zu einem diesbezüglichen Beurkundungstermin aus zwischen den Beteiligten streitigen Gründen nicht erschienen.

Der in ... wohnhafte Vater hat aus einer vorangegangenen, geschiedenen Ehe eine weitere Tochter im Grundschulalter und ist für diese mit der Kindesmutter gemeinsam sorgeberechtigt.

Die Eltern trennten sich im Oktober 2020 endgültig räumlich voneinander. Damals zog die Mutter mit L. aus der früheren gemeinsamen Wohnung aus. Die Mutter, die zuvor von ihr erlittene gewaltsame Übergriffe des Vaters mit der Folge tiefgreifender Traumatisierung behauptet, war bereits damals - seit Februar 2020 und bis heute - in psychotherapeutischer Behandlung bei der Psychologischen Psychotherapeutin C. in ....

Im vorliegenden, am 28. Dezember 2020 eingeleiteten Verfahren hat der Vater die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für L. erstrebt. Die Mutter ist dem Antrag entgegengetreten.

Das Familiengericht hat L. eine Verfahrensbeiständin bestellt, die Sache im Termin vom 17. Mai 2021 - gemeinsam mit dem zwischen den Eltern geführten Umgangsverfahren 40 F 87/21 UG, dessen Akten dem Senat vorgelegen haben - erörtert, eine Zwischenvereinbarung über das väterliche Umgangsrecht mit L. protokolliert - unter Einschluss einer sodann mit Beschluss des Familiengerichts vom selben Tage eingerichteten Umgangspflegschaft - und das vorliegende Sorgerechtsverfahren auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten zum Ruhen gebracht.

Das Umgangsverfahren haben die Eltern schließlich im Termin am 14. Januar 2022 streitlos dahin beigelegt, dass der väterliche Wochenendumgang ab 22./23. Januar 2022 eine Übernachtung einschließen sollte und die Eltern sich auf die Teilnahme an Beratungsgesprächen bei der Lebenshilfe in Saarbrücken oder einer anderen geeigneten Lebensberatung verständigt haben. Die Eltern haben die Umgangsregelung anschließend entsprechend praktiziert - wobei die Übergaben L.s von den Eltern der Mutter für diese übernommen worden sind - und Beratungsgespräche bei jenem Träger aufgenommen, diese wurde sodann aber am 17. April 2023 von der Mutter - aus von den Eltern unterschiedlich dargestellten Beweggründen - beendet.

Aus diesem Anlass hat der Vater das vorliegende Sorgerechtsverfahren unter dem 19. April 2023 wiederaufgerufen; beide Eltern haben - der Vater mit anschließender Unterstützung durch das Jugendamt - ihre Anträge weiterverfolgt. Die Mutter hat dabei die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens begehrt, ferner hat sie darauf hingewiesen, dass sie die zuvor geführten Gespräche der Eltern bei der Lebensberatung auch auf Anraten ihrer psychologischen Psychotherapeutin beendet habe. Die Eltern hätten - was auch der zuständige Mitarbeiter der Beratungsstelle, Herr B., bestätigen könne - völlig unterschiedliche Sichtweisen; der Vater habe bei den Gesprächen zudem u.a. geäußert, man müsse die Mutter "in einem engen Korsett halten".

Im Erörterungstermin vom 10. November 2023 hat das Familiengericht die Eltern, L....

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