Leitsatz (amtlich)
1. Ereignet sich ein Unfall im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht auch beim Reißverschlussverfahren der Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes, unfallursächliches Verhalten des Spurwechslers.
2. Hat der Spurwechsler auf einer Autobahnauffahrt unter Überfahren einer schraffierten Sperrfläche unzulässigerweise rechts überholt, tritt die einfache Betriebsgefahr des überholten Kraftfahrzeugs bei der Haftungsabwägung im Einzelfall zurück.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Aktenzeichen 6 O 347/17) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 29.01.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (Aktenzeichen 6 O 347/17) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Am 08.09.2017 gegen 17.30 Uhr ereignete sich in S. auf der Auffahrt über die Wilhelm-Heinrich-Brücke auf die BAB 620 in Richtung Mannheim ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Fahrer, Halter und Eigentümer des bei der Widerbeklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw BMW 320d mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XXXX und der Beklagte zu 1 als Fahrer und Halter des bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw BMW 120d mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XXXXXX beteiligt waren. Der Kläger befuhr aus Richtung Stengelstraße kommend die Franz-Josef-Röder-Straße, um über die davon abgehende Zufahrtstraße an der Anschlussstelle Wilhelm-Heinrich-Brücke auf die BAB 620 in Richtung Mannheim aufzufahren. Der Beklagte zu 1 fuhr von der Wilhelm-Heinrich-Brücke kommend ebenfalls auf der Zufahrtstraße. Diese verläuft zunächst zweispurig, bis der rechte Fahrstreifen auf den linken aufgeführt wird. Nach dem Ende des rechten Fahrstreifens ist dort eine schraffierte Sperrfläche angebracht. Der verbleibende linke Auffahrtstreifen mündet schließlich spitzwinklig in die an dieser Stelle zweispurige BAB 620 ein. Der Kläger wechselte nach der Auffahrt der beiden Fahrzeuge auf die Zufahrtstraße auf den rechten Fahrstreifen. Im Anschluss daran kam es unter zwischen den Parteien streitigen Umständen zu einem Zusammenstoß der rechten Vorderseite des Beklagten-Pkw mit der linken Heckseite des Kläger-Pkw. Mit Anwaltsschreiben vom 12.09.2017 machte der Beklagte zu 1 gegenüber der Widerbeklagten zu 2 Ansprüche geltend. Der Kläger forderte die Beklagte zu 2 unter Fristsetzung zum 28.09.2017 zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 9.846,90 EUR auf.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz von Nettoreparaturkosten in Höhe von 7.536,75 EUR, einer Wertminderung in Höhe von 500 EUR, Gutachtenkosten in Höhe von 960,15 EUR sowie einer Kostenpauschale in Höhe von 25 EUR und Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 800 EUR in Anspruch. Zum Unfallhergang hat er behauptet, während er auf dem rechten Fahrstreifen gefahren sei, sei der Beklagten-Pkw etwa eine Fahrzeuglänge hinter ihm versetzt auf dem linken Streifen gefahren. Auf Grund dieser Positionierung sei ein Fahrstreifenwechsel von rechts nach links ohne Behinderung oder Gefährdung des Beklagten zu 1 möglich gewesen und vom Kläger noch vor Erreichen der schraffierten Sperrfläche vollständig vollzogen worden. Nachdem der Fahrstreifenwechsel bereits abgeschlossen gewesen und der Kläger einige Meter auf dem (linken, verbleibenden) Fahrstreifen gefahren sei, habe er wegen eines vorausfahrenden weiteren Fahrzeugs, das zwecks Einfädelung in den Verkehr auf der BAB 620 abgebremst habe, bremsen müssen. Dieses Abbremsen habe weder zeitlich noch örtlich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Fahrbahnwechsel stattgefunden. Der Beklagte zu 1 habe sich nicht auf das Verkehrsgeschehen auf dem Auffahrtstreifen konzentriert, sondern zwecks Wahrnehmung einer Lücke den Fließverkehr auf der BAB 620 beobachtet. Aus diesem Grund habe der Beklagte zu 1 das Abbremsen des Klägers zu spät bemerkt und zu spät gebremst, so dass er aufgefahren sei. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, die Kollision des Beklagten-Pkw mit seinem Fahrzeug durch Ausweichen zu vermeiden.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger 9.846,90 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.09.2017 zu zahlen
und
2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner den Kläger von einer Gebührenforderung der Rechtsanwälte ... pp. in Höhe von 455,41 EUR freizustellen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Wege der Widerklage hat der Beklagte zu 1 beantragt,
die Widerbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Widerkläger 5.154,21 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2017 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger und die Widerbeklagte zu 2 habe...