Leitsatz (amtlich)
1. Stehen sich in der Abwägung der Mitverschuldensanteile die einfache Betriebsgefahr des unfallverursachenden Pkws und das einfach fahrlässige Verschulden eines erst 12 Jahre alten Radfahrers gegenüber, besteht im Regelfall kein Anlass, die Haftung des Halters auf eine Quote von weniger als 50 % zu beschränken.
2. Hat die Straßenverkehrsbehörde die zulässige Geschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt und den Verkehr zugleich durch Aufstellen eines Zusatzschildes vor "gefährlichen Einmündungen" gewarnt, so verhält sich der Verkehr schon dann verkehrsgerecht, wenn er dem Straßenverlauf und den erkennbaren Einmündungen eine größere Aufmerksamkeit widmet. Ohne konkrete Anhaltspunkte auf eine sich abzeichnende Gefahrensituation ist der Fahrer nicht gehalten, seine Geschwindigkeit alleine mit Blick auf das Zusatzschild deutlich unter die vorgeschriebene, beschränkte Geschwindigkeit herabzusetzen.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 29.03.2011; Aktenzeichen 14 O 296/10) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 14. Zivilkammer des LG Saarbrücken vom 29.3.2011 - 14 O 296/10 abgeändert:
a. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den ihm anlässlich des Verkehrsunfallgeschehens vom 17.7.2008 auf der entstandenen und künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden in Höhe einer Quote von 50 % zu erstatten, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialleistungsträger übergegangen ist.
b. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.118,44 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung i.H.v. 120 % des beizutreibenden Betrages Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der am ... 1996 geborene Kläger die Beklagten im Wege der Feststellungsklage aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, welcher sich am 17.7.2008 gegen 16.45 Uhr auf der ereignete.
Bei der handelt es sich um eine an der Unfallörtlichkeit circa 5,3 m breite Landstraße ohne Mittelmarkierung. Aus der Fahrtrichtung des Beklagten zu 1) gesehen von rechts mündet in die ein Zufahrtsweg zum K. Hof ein, nach links geht ein Feldweg von der ab. Aus dem Zufahrtsweg zum bog der Kläger mit seinem Fahrrad nach rechts in die ein und wurde wenige Meter später von dem vom Beklagten zu 1) gesteuerten Fahrzeug erfasst, der mit der rechten Vorderfront des Fahrzeugs auf den Hinterreifen des Fahrrades auffuhr, wodurch der Kläger über den rechten Bereich der Motorhaube und die rechte A-Säule sowie den rechten Dachbereich vom Fahrzeug aufgeladen wurde und schließlich 23 m hinter dem Einmündungsbereich im rechten Bereich der Fahrbahn zu liegen kam.
Der Kläger wurde hierbei schwer verletzt. Er erlitt ein geschlossenes Schädelhirntrauma dritten Grades mit multiplen diffusen atonalen Verletzungen sowie multiplen Kontusionsherden vor allem im Bereich des hinteren Balkens, des Thalamus, der Stammganglien sowie des Mesenzephalon. Hinzu traten eine spastische, armbetonte Tetraparese sowie eine traumatische subarachnoidale Blutung mit entsprechenden Begleiterscheinungen in Form einer hochgradigen Aphasie, einer Dysarthrie sowie einer Sprechaparxie.
Im Berufungsrechtszug steht außer Streit, dass die Höchstgeschwindigkeit auf der L 103 im fraglichen Bereich auf 70 km/h begrenzt war. Circa 1 km vor dem Unfallbereich war ein Warnschild, Zeichen 101, mit dem Zusatzschild "gefährliche Einmündungen" aufgestellt. Zwischen dem Warnschild und der späteren Unfallstelle befindet sich eine weitere Einmündung zum. Für den Beklagten zu 1) war die Sicht nach rechts in den Zufahrtsweg zum K. Hof dadurch beeinträchtigt, dass sich vor der Einmündung ein Maisfeld befand, dessen Pflanzen eine Höhe von 1,60 m erreichten. Hierdurch war die Sicht des Beklagten zu 1) in die einmündende Zufahrt aus einer Entfernung von 50 m auf nur 4 m begrenzt.
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken leitete unter dem Aktenzeichen 14 GS 66 Js 2129/08 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung gegen den Beklagten zu 1) ein. In diesem Verfahren wurde das Sachverständigenbüro mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser sachverständigen Beurteilung wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 1) eingestellt. Der Senat hat das Ermittlungsverfahren beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Der Kläger hat behauptet, er selber habe im Einmündungsbereich angehalten, bevor er auf die L 103 aufgefahren sei. Erst dann sei er aus dem Stand losgefahren. Der Beklagte zu 1) habe sich der E...