Leitsatz (amtlich)
1. Ein von einer gemeinnützigen GmbH in einer Jugendhilfeeinrichtung zum heilpädagogischen Reiten eingesetztes Pferd unterliegt nicht dem Nutztierprivileg des § 833 Satz 2 BGB.
2. Der Haftung des Tierhalters gegenüber demjenigen, der ein Pferd zweimal wöchentlich im Rahmen einer auf Honorarbasis ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit bereitet, kann nicht entgegen gehalten werden, das Bereiten erfolge auf eigene Gefahr.
3. Das Bestehen einer Tierhaftpflichtversicherung steht regelmäßig der Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses zugunsten des Tierhalters entgegen.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Aktenzeichen 4 O 130/14) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. April 2015 - 4 O 130/14 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 3. Juni 2015 abgeändert.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30.223,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2014 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über Ziffer 1 hinaus alle weiteren übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, die auf das Unfallereignis vom 14. Februar 2011 in der Caritas Jugendhilfeeinrichtung Haus Christophorus W. zurückzuführen sind, bei dem die bei der Klägerin versicherte M. K., geboren am XX.XX.XXXX, schwer verletzt wurde.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, nimmt die Beklagte, bei der es sich um eine in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betriebene und als gemeinnützig anerkannte Trägergesellschaft der Caritas handelt, aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz (Erstattung übergangsfähiger Aufwendungen und Feststellung) wegen eines Reitunfalls der bei ihr gesetzlich unfallversicherten Zeugin K. in Anspruch.
Die Zeugin K. war aufgrund eines am 29. Mai 2009 geschlossenen Honorarvertrags (Anlage K 1) zweimal wöchentlich mit dem Beritt von vier Therapiepferden betraut, welche die Beklagte in der von ihr betriebenen Jugendhilfeeinrichtung Haus Christophorus in W. hält. Die Pferde werden dort im Rahmen des Therapieangebots der Einrichtung eingesetzt, zu dem auch heilpädagogisches Reiten gehört. Am 14. Februar 2011 stürzte die Zeugin K. bei einem Geländeausritt von dem Pferd "Hexe", wobei sie sich eine Lendenwirbelfraktur (LWK-I) zuzog.
Die Klägerin, die ihre unfallbedingten Aufwendungen auf 30.223,26 Euro beziffert, hat behauptet, das Pferd habe sich plötzlich aus nicht näher bekannten Gründen, möglicherweise aufgrund eines Geräuschs in einer Hecke, erschrocken und daraufhin gebockt. Der Zeugin K. sei es trotz jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Pferden nicht möglich gewesen, das Pferd zu beruhigen und den Sturz zu verhindern.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat den Unfallhergang, die unfallbedingten Verletzungsfolgen sowie die Aufwendungen der Klägerin erstinstanzlich mit Nichtwissen bestritten und geltend gemacht, die Zeugin K. hätte als gute und erfahrene Reiterin ein einfaches Bocken des als gutmütig und ruhig beschriebenen Pferdes beherrschen müssen.
Das Landgericht hat durch sein am 28. April 2015 verkündetes und mit Beschluss vom 3. Juni 2015 berichtigtes Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung ist die Tierhalterhaftung der Beklagten gemäß § 833 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Pferd "Hexe" sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Nutztier, weil die Beklagte als gemeinnützige Einrichtung nicht erwerbswirtschaftlich tätig sei, sondern nur ideelle Zwecke verfolge.
Die Klägerin beantragt,
I. unter Aufhebung und Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 28. April 2015, Az. 4 O 130/14, die Beklagte zu verurteilen, an sie 30.223,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 16. April 2014 zu zahlen;
II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, über Ziffer I hinaus der Klägerin alle weiteren übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, die auf das Unfallereignis vom 14. Februar 2011 in der Caritas Jugendhilfeeinrichtung Haus Christophorus W. zurückzuführen sind und bei dem die bei ihr Versicherte Michaela K., geboren XX.XX.XXXX, schwer verletzt wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und beruft sich ergänzend darauf, dass schon die Realisierung der Tiergefahr als Voraussetzung für einen Anspruch nach § 833 BGB von der Klägerin nicht hinreichend dargetan worden sei. ...