Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer einem Schwerbehinderten gleichgestellten Arbeitnehmerin
Leitsatz (redaktionell)
Es führt zur Unwirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer einem Schwerbehinderten gleichgestellten Arbeitnehmerin, wenn die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung erst nach Beantragung der Zustimmung des Integrationsamts zu der beabsichtigten Kündigung erfolgt.
Normenkette
SGB IX § 95 Abs. 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB § 121 Abs. 1; KSchG §§ 1, 9 Abs. 1, § 13 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 17.08.2017; Aktenzeichen 8 Ca 1122/17) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 17.08.2017 - 8 Ca 1122/17 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 17.08.2017 - 8 Ca 1122/17 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind von der Beklagten zu 3/4 und von der Klägerin zu 1/4 zu tragen.
4. Die Revision gegen Ziffer 1 wird für die Beklagte zugelassen.
Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 24.03.2017 zum 30.09.2017. Die Klägerin beansprucht außerdem, sie bis zur Rechtskraft einer Entscheidung zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Mitarbeiterin der Verwaltung/Sekretärin weiter zu beschäftigen. Gegenstand des Rechtsstreits ist schließlich der von der Beklagten hilfsweise gestellte Antrag, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Die Klägerin, die am ...1962 geboren und verheiratet ist, ist bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt und regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, seit 16.07.1981 als "Sekretärin des ökonomischen Direktors" tätig. Die Klägerin verdiente zuletzt 3.010,64 € brutto monatlich. Die einzelnen Arbeitsbedingungen vereinbarten die Parteien mit dem Arbeitsvertrag vom 13.07.1981 (Bl. 6 f. d. A.) sowie dem Änderungsvertrag vom 01.07./28.10.1991 (Bl. 10 d. A.).
Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 40 % festgestellt. Auf den Antrag der Klägerin vom 22.12.2015 wurde mit Bescheid vom 13.07.2016 die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten festgestellt.
Mit Schreiben vom 24.03.2017 (Bl. 11 f. d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2017. Die Klägerin erhielt das Kündigungsschreiben am 24.03.2017.
Mit Schreiben vom 16.12.2016 beantragte die Beklagte beim Kommunalen Sozialverband die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Mit Bescheid vom 20.02.2017 (Bl. 101 ff. d. A.) wurde die Zustimmung erteilt. Mit Schreiben vom 28.03.2017 (Bl. 13 f. d. A.) legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.02.2017 ein.
Mit Schreiben vom 07.03.2017 (Bl. 111 ff. d. A.) unterrichtete die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung. Der Betriebsrat erhielt das Anhörungsschreiben am 07.03.2017. Mit Schreiben vom 14.03.2017 (Bl. 15 f. d. A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung.
Mit Schreiben vom 15.03.2017 (Bl. 124 ff. d. A.) unterrichtete die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung. Diese widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 21.03.2017 (Bl. 17 d. A.).
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis bereits zuvor mit Schreiben vom 25.02.2016 aus personenbedingten Gründen gekündigt. Der von der Klägerin hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklage wurde mit Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15.12.2016 (9 Sa 422/16) rechtskräftig stattgegeben.
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG sei. Die Klägerin hat bestritten, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei. Sie hat auch die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bestritten. Die Beteiligung sei nicht unverzüglich erfolgt. Dies sei erst nach Zustimmung durch das Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats erfolgt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich folgende Klageanträge gestellt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.03.2017 zum 30.09.2017 beendet worden ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur Rechtskraft einer Entscheidung zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Mitarbeiterin der Verwaltung/Sekretärin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat hilfsweise außerdem beantragt:
Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG aufgelöst.
Die Klägerin hat beantragt,
den Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Kündigung vom 24.03.2017 aus verhaltensbedingten Gründen rechtmäßig sei. Die Klägerin habe im vorausgegangenen...