Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrens- und Terminsgebühr. keine Berücksichtigung von An- und Abreisezeiten sowie Wartezeiten
Leitsatz (amtlich)
1. An- und Abreisezeiten bleiben ebenso wie Wartezeiten vor der mündlichen Verhandlung bei der Bemessung der Verfahrensgebühr nach Nr 3102 bzw 3103 RVG-VV außer Betracht. Sie verlängern lediglich die Abwesenheit des Anwalts vom Kanzleisitz und finden bei der Vergütungsbemessung deshalb über das Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr 7005 RVG-VV Berücksichtigung.
2. Vor dem Aufruf der Sache liegende Wartezeiten können auch nicht zur Bemessung der Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV herangezogen werden. Die Terminsgebühr entsteht erst mit dem Aufruf der Sache, soweit der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt vertretungsbereit anwesend ist.
Orientierungssatz
Soweit im Bereich der Strafverteidigergebühren teilweise eine Berücksichtigung von Wartezeiten und Verhandlungspausen bei der Terminsgebühr bejaht wird, ist dies auf sozialgerichtliche Verhandlungen nicht übertragbar.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung des im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten Rechtsanwalts.
Die Klägerin führte, vertreten durch den Beschwerdeführer, vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) das Klageverfahren S 21 AS 2443/11, in dem um die Höhe der ihr nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehenden Leistungen der Erstausstattung bei Schwangerschaft gestritten wurde. Der Beschwerdeführer begründete die am 26.05.2011 erhobene Klage und reichte auf Anforderung des Gerichts in Vorbereitung des anberaumten Erörterungstermins verschiedene, bei der Klägerin noch vorhandene, Kaufbelege zur Akte. Am 20.07.2011 erörterte das SG das Verfahren in einem 35minütigen Termin (10:00 Uhr bis 10:35 Uhr), in dem anhand eines Vergleichs zwischen bewilligten Leistungen und von der Klägerin erworbener Schwangerschaftsausstattung ein streitiger Betrag von 16,86 € ermittelt wurde. An diesem Tag nahm der Beschwerdeführer an zwei Terminen beim SG teil. In der mündlichen Verhandlung am 06.10.2011, zu der die Beteiligten auf 10:15 Uhr geladen waren und die von 10:27 Uhr bis 10:50 Uhr dauerte, nahm der Beschwerdeführer namens und in Vollmacht der Klägerin die Klage zurück.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 14.11.2011 beantragte der Beschwerdeführer, die ihm aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf der Grundlage des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wie folgt festzusetzen:
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Verfahrensgebühr (Nr. 3103VV RVG) |
320,00 € |
Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) |
380,00 € |
Auslagen Nr. 7002 VV RVG |
20,00 € |
Fahrtkosten (Nr. 7003 VV RVG) - 76 km am 20.07.20111, da 2 Termine - 152 km am 06.10.2011 |
68,40 € |
Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) - 10,00 € am 20.07.2011, da 2 Termine - 20,00 € am 06.10.2011 |
30,00 € |
Parkgebühren (Nr. 7006 VV RVG) - 1,26 € am 20.07.2011, da 2 Termine - 2,52 € am 06.10.2011 |
3,78 € |
Zwischensumme |
822,18 € |
Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) |
156,21 € |
zu zahlender Betrag |
978,39 € |
Mit Beschluss vom 14.03.2012 hat der Urkundsbeamte des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt:
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Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG |
170,00 € |
Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) |
300,00 € |
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) |
20,00 € |
½ Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) für Termin am 20.07.2011 |
10,00 € |
Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) für Termin am 06.10.2011 |
20,00 € |
½ Reisekosten (Nr. 7003 VV RVG), 152 km x 0,30 € für Termin am 20.07.2011 |
22,80 € |
Reisekosten (Nr. 7003 VV RVG), 152 km x 0,30 € für Termin am 06.10.2011 |
45,60 € |
½ sonstiges: Parkgebühr für Termin vom 20.07.2011 |
1,26 € |
sonstiges: Parkgebühr für Termin vom 06.10.2011 |
2,52 € |
Zwischensumme |
592,18 € |
Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) |
112,51 € |
Gesamtsumme |
704,69 € |
Die Verfahrensgebühr sei in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Die noch überdurchschnittliche Bedeutung werde durch die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin kompensiert. Umfang und Schwierigkeit seien durchschnittlich gewesen. Es habe sich um ein typisches Verfahren um Leistungen nach dem SGB II gehandelt. Der Klageantrag sei auf Formmängel und Unverständlichkeit der Verwaltungsentscheidung gestützt worden. Umfangreiche rechtliche Ausführungen seien nicht erfolgt. Die Terminsgebühr sei bei einer Gesamtterminsdauer von 58 Minuten auf 300,00 € festzusetzen. Weder hätten besondere Schwierigkeiten noch ein außergewöhnlich hoher Aufwand des Beschwerdeführers vorgelegen.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 16.04.2012 Erinnerung eingelegt. Die Terminshöchstgebühr sei gerechtfertigt, da die zweimalige Vorbereitungszeit sowie die An- und Abreisezeiten berücksichtigt werden müssten. Auch die Verfahrensgebü...