Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Antrag der Partei auf Aufhebung der Beiordnung eines Rechtsanwalts. Nichtvorliegen formaler Mängel. "zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt". Mandatierung. Wiederaufnahmeverfahren als "neuer Rechtszug" iS des § 119 Abs 1 S 1 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Das Wiederaufnahmeverfahren ist im Verhältnis zum vorangegangenen Verfahren ein neuer Rechtszug.
2. Ein im Sinne von § 121 Abs 2 ZPO zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt muss noch nicht notwendigerweise mandatiert sein.
Orientierungssatz
Zur Antragsbefugnis der Partei im Hinblick auf eine Entpflichtung des ihr beigeordneten Rechtsanwalts und die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin … im Beschluss vom 23. Juni 2014 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der im Verfahren Az. L 3 AL 55/12 mit Beschluss vom 23. Juni 2014 ausgesprochenen Beiordnung ihrer damaligen Bevollmächtigten.
Im Verfahren Az. L 3 AL 55/12 begehrte die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten auf Bewilligung einer Kraftfahrzeugbeihilfe. Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 wurde ihr Prozesskostenbeihilfe bewilligt und ihre damalige Bevollmächtigte beigeordnet. Die Berufung wurde mit Urteil vom 9. April 2015 zurückgewiesen. Nach Verkündung des Urteilstenors in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 erklärten sowohl die für die Klägerin erschienene Rechtsanwältin als auch die Beklagtenvertreterin den Verzicht auf Rechtsmittel.
Mit Telefax vom 13. April 2015 hat die Klägerin den Widerruf des durch ihre Bevollmächtigte erklärten Rechtsmittelverzichts erklärt. Ihre frühere Rechtsanwältin hat mit Telefax vom 14. April 2015 vorsorglich den Widerruf des Rechtsmittelverzichts erklärt. Beide haben vorgetragen, dass keine schriftliche Vollmacht vorgelegen habe, und dass die Klägerin ihre Bevollmächtigte nicht ermächtigt habe, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären.
Die Klägerin hat mit Telefax vom 14. April 2015 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Dieses Verfahren ist unter dem Az. L 3 AL 83/15 geführt worden..
Mit Telefax vom 5. Mai 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr "eine Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin … wegen des massiven Vertrauensbruchs nicht mehr zumutbar" sei. Sie nehme daher ihre Rechte jetzt selber wahr. Schriftverkehr sei an sie selbst zu richten. Vorsorglich beantrage sie die Aufhebung der Beiordnung der Rechtsanwältin im Verfahren Az. L 3 AL 55/12.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des zugehörigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen.
II.
1. Die im Verfahren Az. L 3 AL 83/15 beantragte Aufhebung der Anwaltsbeiordnung betrifft nur das Berufungsverfahren Az. L 3 AL 55/12. Denn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG] i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung [(ZPO]). In diesem Sinne ist das Wiederaufnahmeverfahren im Verhältnis zum vorangegangenen Verfahren, hier dem Berufungsverfahren, ein neuer Rechtszug. Dies ergibt sich Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes ist der Begriff des Rechtszuges kostenrechtlich zu verstehen und erfasst jeden Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2004 - IX ZB 565/02 - NJW 2004, 3260 = MDR 2005, 50 = JURIS-Dokument Rdnr. 16, m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 5 B 204/07, 5 B 204/07 [5 PKH 30/07] - NJW 2008, 3157 = DÖV 2008, 827 = JURIS-Dokument Rdnr. 8, m. w. N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung [73. Aufl., 2015], § 119 Rdnr. 30; Geimer, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 119 Rdnr. 1, m. w. N.). Gemäß § 35 des Gerichtskostengesetzes (GKG) werden die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen und die Gebühr für eine Entscheidung in jedem Rechtszug hinsichtlich eines jeden Teils des Streitgegenstands nur einmal erhoben. Der zeitliche Rahmen eines Rechtzuges wird für beide Regelungen dahingehend definiert, dass ein Rechtszug mit dem einleitenden Antrag beginnt und mit der abschließenden Entscheidung oder anderweitigen endgültigen Erledigung endet (vgl. zu § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO: BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - XII ZB 179/06 - NJW-RR 2007, 1439 = MDR 2007, 1032 = JURIS-Dokument Rdnr. 11, m. w. N.; zu § 35 GKG: Hartmann, Kostengesetze [45. Aufl., 2015], § 35 GKG Rdnr. 5). Daraus wird gefolgert, dass ein Wiederaufnahmeverfahren im Sinne von §§ 578 ff. ZPO, das wegen der ausdrücklichen Regelung in § 578 Abs. 1 ZPO immer ein "durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens" voraussetzt, ein neuer Rechtszug im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 119 Rdnr. 51; Geimer, a. a. O., § 119 Rdnr. 29; vgl. auch Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 584 Rdnr. 4).