Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung. Verletzung von Nachweispflichten. Nullfestsetzung. behauptete Übermittlung von Unterlagen per E-Mail. Möglichkeit des Nachreichens von Unterlagen im Widerspruchs- und sozialgerichtlichen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der Zugang einer E-Mail setzt voraus, dass sie auf dem E-Mail-Server des Empfängers oder des Providers eingegangen, das heißt abrufbar gespeichert ist.
2. Der Nachweis des Absendens einer E-Mail begründet keinen Anscheinsbeweis für deren Zugang.
3. Der Ausdruck einer E-Mail kann allein Beweis dafür erbringen, dass die E-Mail mit den dort aufgeführten Anhängen versandt worden ist, nicht aber für den Inhalt ihrer Anhänge.
Orientierungssatz
Grundsätzlich sind auch im Widerspruchsverfahren und im gerichtlichen Verfahren noch nachgereichte Unterlagen zu berücksichtigen, weil § 41a Abs 3 S 2 bis 4 SGB 2 keine materielle Präklusionswirkung entfaltet (vgl BSG vom 29.11.2022 - B 4 AS 64/21 R = SozR 4-4200 § 41a Nr 7 RdNr 28 ff).
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 29. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Leistungszeitraum von Juli 2016 bis Dezember 2016.
Der 1982 geborene Kläger zu 1 war im streitbefangenen Zeitraum als Inhaber der Firma X.... IT-Service und Veranstaltungstechnik selbstständig tätig und stand seit einigen Jahren im Leistungsbezug bei dem Beklagten.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 26. Mai 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1 mit Bescheid vom 10. Juni 2016 für Juli 2016 bis Dezember 2016 vorläufig Leistungen in Höhe eines monatlichen Gesamtbetrags in Höhe von 531,89 EUR (= 370,14 EUR [Regelbedarf] + 161,75 EUR [Unterkunft und Heizung]). Die Entscheidung über die vorläufige Bewilligung beruhe auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Die Einnahmen beziehungsweise Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum seien aufgrund seiner Angaben zum voraussichtlichen Einkommen zunächst vorläufig festgesetzt worden. Eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststünden. Der Kläger zu 1 werde daher gebeten, hierzu den Vordruck „abschließende Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes“ zu verwenden.
Am 30. Juli 2016 heirateten der Kläger zu 1 und die 1986 geborene Klägerin zu 2, was der Kläger zu 1 mit Veränderungsmitteilung vom 29. Juli 2016 (Eingang bei dem Beklagten 3. August 2016) dem Beklagten mitteilte.
Nachdem die Kläger die Anlagen WEP [weitere Personen ab 15 Jahren in der Bedarfsgemeinschaft], EK [Feststellung der Einkommensverhältnisse einer in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Person ab 15 Jahren] und VM [Selbstauskunft zum Vermögen] eingereicht hatten, bewilligte der Beklagte den Klägern - nunmehr unter Berücksichtigung der Klägerin zu 2 als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft - mit Änderungsbescheid vom 8. September 2016 weiter vorläufig einen monatlichen Gesamtbetrag für September 2016 in Höhe von 283,10 EUR sowie für Oktober 2016 bis Dezember 2016 in Höhe von jeweils 200,26 EUR. Den bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheid vom 10. Juni 2016 hob sie insoweit auf.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 forderte der Beklagte die Kläger auf, bis zum 28. Februar 2017 für verschiedene Leistungszeiträume, darunter der Leistungszeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Dezember 2016, folgende Unterlagen vorzulegen: Jeweils ein vollständig ausgefülltes und unterschriebenes Formular Anlage EKS [vorläufige oder abschließende Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum], BWA [betriebswirtschaftliche Auswertung], Einnahme-Überschussrechnung oder Einnahme-Ausgabe-Übersichten mit Sachkonten, Summen- und Saldenlisten sowie Kassenbuch, jeweils monatlich entsprechend der Zu- und Abflüsse, alle Ausgangsrechnungen (Betriebseinnahmen) mit Nachweisen über den Erhalt der Zahlungen (lückenlose Kontoauszüge oder Quittungen), alle Belege zu den im Formular angegebenen Betriebsausgaben. Grundsätzlich seien alle Betriebseinnahmen und -ausgaben zu belegen. Für den Fall, dass sie ihrer Nachweispflicht nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß nachkämen, werde er, der Beklagte, abschließend feststellen, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe und die vorläufig bewilligten Leistungen in vollem Umfang ...