Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Kükensortierer. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. Anfrageverfahren. Feststellung/Bezeichnung einer konkreten Rechtsbeziehung. Prüfung der Betriebseingliederung. Rückgriff auf Kriterien zur Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassung zu Werk-/Dienstvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Anfrageverfahren nach § 7a SGB 4 bezieht sich auf die Feststellung/Bezeichnung einer konkreten Rechtsbeziehung, die ihrerseits die Grundlage der festgestellten Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 S 1 SGB 4 bildet. Gegenstand der Feststellung ist damit das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen einem konkreten Arbeitnehmer und einem konkreten Arbeitgeber.

2. Zur Prüfung der Frage, in welchen Betrieb ein Arbeitnehmer eingegliedert ist, kann (ergänzend) auf die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassung zu Werk-/Dienstvertrag zurückgegriffen werden.

3. Kükensortierer (sog "chicken sexer") üben ihre Tätigkeit dann, wenn sie sich zu diesem Zweck als Gruppe zu einer Personen- oder Kapitalgesellschaft zusammenschließen und sie innerhalb dieser Gesellschaft nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien nicht die Rechtsmacht besitzen, ihnen ungenehme Weisungen zu verhindern (vgl zuletzt: BSG vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 35), regelmäßig in der Rechtsbeziehung zu dieser Gesellschaft (und nicht zur Brüterei, in deren Betriebsräumen die Tätigkeit verrichtet wird) im Rahmen einer abhängigen und dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung aus.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 3. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die gerichtlichen sowie außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie der Beigeladenen zu 1. für beide Instanzen, die der Beigeladenen zu 2. für das Berufungsverfahren.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 1. auf Grund ihrer Tätigkeit in der Betriebsstätte der Klägerin ab März 2009 (bis zu ihrem Ausscheiden als Gesellschafterin der Beigeladenen zu 2. im ersten Halbjahr 2015) zur Klägerin in einem abhängigen und damit Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung begründenden Beschäftigungsverhältnis stand.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine Großbrüterei. Die Bruteier werden ihr von Zuchtbetrieben per Lkw angeliefert und nach Vornahme der erforderlichen Qualitätskontrolle, Vorsortierungen, Hygienemaßnahmen und vorübergehender Zwischenlagerung in vollautomatischen und computergesteuerten Bebrütungsstationen maschinell bebrütet, so dass nach 21 Tagen und sechs Stunden die Küken schlüpfen können. Anschließend werden die frisch geschlüpften Küken von Mitarbeitern der Klägerin manuell aus den Schlupfkisten geholt und - nach Aussortierung erkennbar kranker bzw. nicht lebensfähiger Küken - auf ein Fließband gesetzt. Das Fließband läuft in einen Sortierraum, in welchem 30 Arbeitsplätze (jeweils 15 vis-à-vis) für Kükensortierer eingerichtet sind, welche jeweils über zwei Einwurfröhren mit separaten Zählwerken verfügen. Von den Sortierten werden die Küken nach manueller Bestimmung des Geschlechts entweder in die linke (weibliche Küken) oder eine rechte Röhre (männliche Küken) gesteckt, so dass die Küken wiederum auf ein Fließband fallen. Nach ggf. maschineller Impfung und erneuter Qualitätskontrolle durch Mitarbeiter der Klägerin werden die Küken in Transportkartons gesetzt und am gleichen Tag noch verladen und an die Endkunden der Klägerin abtransportiert.

Zur Geschlechtssortierung bedient sich die Klägerin der Z.... OHG und der Beigeladenen zu 2. Dabei handelt es sich um Zusammenschlüsse von 10 japanischen bzw. koreanischen Staatsbürgern, die in ihren Heimatländern die Ausbildung zum sog. "chicken sexer" durchlaufen haben. Die Beigeladene zu 2. wurde mit Gesellschaftsvertrag vom August 2008 gegründet (und am 01.04.2009 ins Handelsregister beim Amtsgericht Y.... unter HRA .... eingetragen). Der Gesellschaftsvertrag enthält u. a. folgende Regelungen:

IV. Dauer der Gesellschaft

1. Die Gesellschaft beginnt am 1. Oktober 2008 und wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

2. Der Vertrag ist frühestens zum 31. Dezember 2013 kündbar.

3. ...

V. Kapitalanteile und Beiträge

1. An der Gesellschaft ist jeder Gesellschafter mit € 1.000,- beteiligt.

2. ...

3. Über die vorgenannten Beiträge hinaus sind die Gesellschafter verpflichtet, ihre gesamte Arbeitskraft dem gemeinsamen Unternehmen zu widmen. Nebentätigkeiten bedürfen der Zustimmung aller Gesellschafter. Jeder Gesellschafter ist berechtigt, durch einfache Erklärung gegenüber der Gesellschaft mit einer Ankündigungsfrist von 3 Wochen zu erklären, dass er für max. 2 Monate im Geschäftsjahr seine...

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