Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuer. Steuererlass. Billigkeitserlass. Unbilligkeit. Steuergerechtigkeit. Steuermesszahl. Einheitswert. Verkehrswert. gemeiner Wert. Hauptfeststellungszeitraum. Hauptveranlagungszeitraum. Jahresrohmiete. Vervielfältiger. Eingliederung. Eingemeindung. Umgemeindung. Oldenburgische Verwaltungsreform. Nationalsozialistische Eingemeindungspolitik. Grundsteuererlasses
Leitsatz (amtlich)
1. Eigentümer von Grundstücken in einem Teil einer Gemeinde, der in diese nach dem 1.1.1935 eingegliedert wurde und für den nach § 41 Satz 1 GrStG in Verbindung mit § 29 GrStDV 1937 eine höhere Steuermesszahl als für die bereits bis zum 1.1.1935 zu der Gemeinde gehörenden Teile zugrunde gelegt wird, haben einen Anspruch auf teilweisen Erlass der Grundsteuer in Höhe des sich infolge der Anwendung der höheren Steuermesszahl ergebenden Differenzbetrags (wie BVerwGE 8, 334, für die in den alten Ländern bis 1973 geltende Rechtslage).
2. Setzt der Gesetzgeber ein Regelungswerk, das bereits in einem vergangenen Zeitraum gültig war, unverändert wieder in Kraft, sind prinzipiell auch die zu den betreffenden Normen ergangenen grundlegenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Entscheidungen beachtlich.
3. Die Vorschriften der §§ 29 und 30 GrStDV 1937 folgen dem Grundsatz der zeitnahen Aktualisierung der Gemeindegrößenverhältnisse mit der Folge zeitnaher Vereinheitlichung der Steuermesszahlen innerhalb einer Gemeinde.
4. Der mit § 29 GrStDV 1937 verfolgte Zweck der Abmilderung von Belastungserhöhungen für Grundstücke in größeren Gemeinden aufgrund der Grundsteuerreform von 1936 tritt jedenfalls seit 1991 hinter den Grundsatz der steuerrechtlichen Binnengerechtigkeit innerhalb einer Gemeinde zurück.
5. Die Steuererlasskompetenz folgt grundsätzlich der Steuerertragskompetenz.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; GrStG § 41; AO § 184 Abs. 2 S. 1, § 227; GrStG a.F. § 12; GrStDV 1937 §§ 29-30; BBewG § 21; RBewDB §§ 33-34, 36; DGO § 4
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Urteil vom 10.12.2002; Aktenzeichen 8 K 1419/98) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 10. Dezember 2002 – 8 K 1419/98 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den teilweisen Erlass der Grundsteuer aus Billigkeitsgründen zum Ausgleich der Folgen der Anwendung unterschiedlich hoher Grundsteuermesszahlen im Bereich der Beklagten.
Die Klägerin ist Eigentümerin der im Stadtgebiet der Beklagten gelegenen Grundstücke J. straße N1 und N2, K1 straße und K2 straße. Diese gehören zum Stadtteil S., der früher eine eigene Stadt gebildet hatte und mit Wirkung vom 1.7.1950 in die Beklagte eingegliedert wurde. Die Stadt S. war ihrerseits aus der zum 1.10.1935 erfolgten Vereinigung der zuvor selbständigen Gemeinden S1 und S2 hervorgegangen. Diese Gemeinden hatten (nach dem Stand der allgemeinen Volkszählung vom 16.6.1933) zusammengenommen eine Einwohnerzahl von unter 25.000 Einwohnern. Mit Bescheiden vom 1.10.1997 und 4.10.1997 setzte das Finanzamt für die Grundstücke der Klägerin die Grundsteuermessbeträge auf 4.391,20 DM, 3.358,40 DM, 3.049,60 DM bzw. 1.088,– DM fest. Es ging dabei von Einheitswerten in Höhe von 548.900,– DM, 419.800,– DM, 381.200,– DM bzw. 136.000,– DM aus und vervielfältigte diese jeweils mit einer Steuermesszahl von 8 v.T. Zur Begründung wies es auf die Abstufung der Steuermesszahlen je nach Grundstücks- und Gemeindegruppen in § 29 der Verordnung zur Durchführung des Grundsteuergesetzes für den ersten Hauptveranlagungszeitraum vom 1.7.1937 – GrStDV – hin. Es ordnete insoweit die Grundstücke der Gruppe III – Geschäftsgrundstücke mit Neubauten (bezugsfertig nach dem 31.3.1924) – zu und legte die Gemeindegruppe a – bis 25.000 Einwohner – zugrunde. Mit Bescheiden vom 13.11.1997 und 27.11.1997 setzte die Beklagte für die vier Grundstücke die Grundsteuer jeweils für die Jahre 1992 bis 1997 auf 90.458,72 DM, 69.183,04 DM, 62.821,76 DM bzw. 22.412,80 DM fest.
Mit Schreiben vom 19.12.1997 beantragte die Klägerin den teilweisen Erlass der Grundsteuer. Sie machte geltend, soweit die in § 30 Abs. 3 GrStDV vorgesehene Zurechnung eines durch eine nach dem 1.1.1935 rechtswirksam gewordene Umgemeindung betroffenen Gemeindeteils zu der ohne die Umgemeindung einschlägigen Gemeindegruppe dazu führe, dass eine höhere Steuermesszahl über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Umgemeindung hinaus anwendbar bleibe, habe der Steuerpflichtige nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.6.1959 (BVerwGE 8, 334) einen Anspruch auf Erlass aus Billigkeitsgründen in dem Verhältnis, in dem die für andere Gemeindeteile anwendbare niedrigere Steuermesszahl hinter der höheren Steuermesszahl zurückbleibe. Da im Bereich des Stadtkerns der Beklagten die Steuermesszahl von 7 v.T. für Gemeinden über 25.000 bis 1.000.000 Einwohner (Gemeindegruppe b) angewandt werde, sei ein Er...