Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Erledigungsgebühr. qualifizierte anwaltliche Mitwirkung. Rahmengebühr
Leitsatz (amtlich)
Die Gebühr nach Nr 1005, 1006 RVG-VV setzt eine qualifizierte anwaltliche Tätigkeit voraus, die auf die Erledigung des Verfahrens hinzielt und sie erreicht. Diese liegt vor, wenn nach der Beweisaufnahme ein richterlicher Hinweis ergeht und der Anwalt seinen Mandanten in der daraufhin angesetzten achtminütigen Verhandlungspause von der Aussichtslosigkeit des Verfahrens überzeugt.
Orientierungssatz
Die Erledigungsgebühr ist eine Rahmengebühr, die nach den Kriterien des § 14 RVG auf ihre Billigkeit zu überprüfen ist. Die Maßstäbe, die für den Kostenbeamten bei der Festsetzung der Verfahrens- und Terminsgebühr ausschlaggebend waren, sind nicht blindlings übertragbar. Jede Rahmengebühr ist für sich zu prüfen (so auch LSG Schleswig vom 12.9.2006 - L 1 B 320/05 SF SK = SchlHA 2006, 443). Bei dieser Prüfung ist der Sinn und Zweck der Gebühr zu beachten.
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 29. Juni 2009 wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 29. Mai 2009 aufgehoben.
Der Beschwerdeführer ist mit 755,65 EUR zu vergüten.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Beschwerdeführer war in dem Verfahren S 25 AS 794/08 ER im Wege der Prozesskostenhilfe dem Antragsteller beigeordnet (Beschluss vom 4. August 2008). Es ging in diesem Verfahren darum, ob der Antragsteller eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führte und infolge dessen in einer Bedarfsgemeinschaft lebte. Nach der Zeugenvernehmung im Erörterungstermin vom 5. August 2008 unterbrach die Richterin die Verhandlung, um dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, sich mit dem Antragsteller zu beraten. Vorausgegangen war ein Hinweis der Kammervorsitzenden, dessen Wortlaut nicht im Protokoll enthalten ist. Die Unterbrechung der Verhandlung dauerte acht Minuten. Danach erklärte der Beschwerdeführer im Einvernehmen mit dem Antragsteller das Verfahren für erledigt und nahm auch den Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 6. Mai 2008 zurück.
Mit der Kostenrechnung vom 6. August 2008 machte der Beschwerdeführer u. a. eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1006, 1005 VV RVG in Höhe von 190,00 EUR (Mittelgebühr) geltend. Insgesamt forderte er 772,37 EUR.
Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. August 2008 kürzte die Kostenbeamtin die Dokumentenpauschale. Eine Erledigungsgebühr erkannte sie nicht an. Sie bewilligte 529,55 EUR.
Mit Schriftsatz vom 5. September 2008 bat der Beschwerdeführer um gerichtliche Festsetzung. Er habe seinen Mandanten in der Verhandlungspause dazu bewegt, sein Begehren aufzugeben.
Mit Beschluss vom 29. Mai 2009 hat das Sozialgericht Lübeck die Vergütung auf 529,55 EUR festgesetzt, weil keine besondere Mitwirkung des Beschwerdeführers an der unstreitigen Erledigung erforderlich gewesen sei. Diese Leistung habe der Beschwerdeführer nicht erbracht. Das Gespräch mit seinem Mandanten über die Zeugenvernehmung reiche als qualifizierte Mitwirkung nicht aus.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Er wiederholt, dass der Antragsteller zunächst die Fortsetzung des Verfahrens gewünscht habe. Erst infolge des achtminütigen Beratungsgespräches habe sich der Antragsteller anders entschlossen.
Auf die ergangenen Beschlüsse und den Schriftwechsel sowie auf die Akte S 25 AS 794/08 ER wird im Übrigen Bezug genommen.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
In dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. November 2006 - B 1 KR 13/06 R - ist in vollem Umfang überzeugend dargelegt, dass die Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung voraussetzt. Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat zuletzt in dem Beschluss vom 28. Februar 2007 - L 1 B 467/06 SK - angeschlossen. Grundsätzlich bleibt der Senat bei seiner Auffassung.
Vorliegend ist jedoch ein gewisser Unterschied zum Urteil des BSG zu beachten. Der vom BSG entschiedene Fall hatte seine Besonderheit darin, dass die bloße Annahme eines Anerkenntnisses nicht als qualifizierte Mitwirkung des Anwalts angesehen wurde. Hier stellt sich aber die Frage, ob ein Gespräch des Anwalts mit seinem Mandanten von acht Minuten Dauer aufgrund eines richterlichen Hinweises die Rücknahme des Antrags und eines Widerspruchs verursacht hat. Bei dieser Prüfung ist der Kostenbeamte auf die Angabe des Anwalts angewiesen. Sie geht dahin, dass der Kläger die Rücknahme zunächst nicht gewollt hat, dann aber der anwaltlichen Beratung folgte. Diese Angabe wird durch die Prozesssituation objektiviert. Das Verhandlungsprotokoll weist aus, dass die als Zeugin vernommene Mitbewohnerin im Wesentlichen die Angaben des Antragstellers über eine Wohngemeinschaft bestätigt hatte. Dieser Aussage stand aber das Ergebnis einer Wohnungsbesichtigung durch die Mitarbeiter der Arge entgegen. Der Inhalt des richterlichen Hinweises ist nicht bekannt. Nach der Prozesssituation hat zumindest ein Hi...