rechtskräftig: ja BSG-Az.: B 2 U 337/00 B
Entscheidungsstichwort (Thema)
Tankwagenfahrer; Benzol; Wahrscheinlichkeit; Ursachenzusammenhang; Dosis; ppm-Jahre; myeloische Leukämie
Leitsatz (amtlich)
Die akute myeloische Leukämie eines Tankwagenfahrers ist jedenfalls dann nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die Einwirkungen von Benzol bei der beruflichen Tätigkeit verursacht worden, wenn die Einwirkungen eine Dosis von 12,1 ppm-Jahren erreicht haben.
Normenkette
RVO § 551; BKVO Anlage 1 Nr. 1303
Verfahrensgang
SG Itzehoe (Entscheidung vom 04.10.1999; Aktenzeichen S 9 U 6/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. Oktober 1999 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten Streiter, um die Anerkennung einer akuten myeloischen Leukämie als Berufskrankheit nach der Nr. 1303 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO).
Der 1940 geborene Kläger war von September 1970 bis November 1994 als Tankwagenfahrer bei der Firma S. in W. beschäftigt. Dabei hatte er Benzin- und Dieselkraftstoff sowie Heizöl zu laden, zu transportieren und zu entladen.
1994 erkrankte der Kläger an einer akuten myeloischen Leukämie, die chemotherapeutisch bis Juli 1995 behandelt wurde und sich seitdem im Zustand der Vollremission frei von Hinweisen auf ein Krankheitsrezidiv befindet. Im Januar 1995 erhielt die Beklagte vom Tumorzentrum des Klinikums der C. … (CAU) zu K. an der die Chemotherapie durchgeführt wurde, die formlose Meldung einer Berufskrankheit. Im Rahmen der Ermittlungen der Beklagten teilte Dr. A. vom Tumorzentrum mit, die den Kläger dort behandelnden Ärzte führten die Erkrankung auf berufliche Einflüsse zurück. Die weiteren Ermittlungen ergaben, daß bei dem Kläger im Jahre 1968 von den Städtischen Krankenanstalten I. – Dr. E. – eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert worden war und er von der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein (LVA) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juni 1968 bis September 1970 erhalten hatte. Ein Aktenvermerk der Beklagten vom 24. November 1995 über ein Gespräch mit dem Kläger und seinem Arbeitgeber hatte u. a. folgenden Inhalt: „Herr T. hatte Kraftstoffe und Heizöl bei der Raffinerie zu laden und dann Tankstellen, Firmen oder Privatkunden zu beliefern. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde täglich ca. 6 Stunden das Fahrzeug geführt. Die übrige Zeit von ca. 6 Stunden (Regelarbeitszeit täglich 8 Stunden und durchschnittlich täglich 4 Überstunden) entfiel auf Be- und Entladevorgänge. Die Beladung des Tankkraftwagens (TKW) erfolgte bis ca. Anfang 1994 generell nach dem Top-Loading-Verfahren bei offenem System. Dies bedeutet, daß der Fahrer nach Öffnung des Domdeckels den Füllarm in den Tank einführte und während der gesamten Befüllzeit sich im unmittelbaren Bereich des Domdeckels aufhielt. Wurde bei Kunden entladen, so sollen dort auch bis zum Jahr 93/94 überwiegend offene Systeme verwendet worden sein, d. h. z. B. an Tankstellen sei bei der Benzinentladung das aus dem Lagertank verdrängte Benzindampf/Luftgemisch über etwa 3 bis 4 m über Erdgleiche befindliche Entlüfter in die Umgebung freigesetzt worden. Die Quantifizierung einer möglichen Belastung des TKW-Fahrers durch die verdrängten. Dämpfe konnte nicht vorgenommen werden. … Der Erkrankte hatte mit allen genannten Produkten gelegentlich im geringen Umfang Hautkontakt. Betroffen seien vorrangig die Hände gewesen … Etwa 6 Stunden täglich wurde mit den Mineralölprodukten umgegangen. Dabei soll der Umgang mit Benzinen anteilig ca. 25 Prozent betragen haben”.
Ein Aktenvermerk vom 20. Dezember 1995 über die Befragung von Mitarbeitern der D., Werk H., hat u. a. folgenden Inhalt: „Das Top-Loading-Verfahren bei offenem System sei bis ca. 1992 für die Verladung von Vergaserkraftstoffen Stand der Technik gewesen. Grenzwertmessungen im Bereich der TKW-Füllbühnen seien … nicht durchgeführt worden. Es wurden Messungen der Kohlenwasserstoffkonzentration hinsichtlich der sicheren Unterschreitung der unteren Explosionsgrenze im TKW-Füllbühnenbereich vorgenommen. Dabei sei festgestellt worden, daß die Kohlenwasserstoffkonzentration um ein vielfaches die untere Explosionsgrenze unterschreite. Im Bereich der Kesselwagenbefüllung seien Grenzwertmessungen (MAK, TRK) vorgenommen worden. Ausschlaggebend dafür sei gewesen, daß sich die Kesselwagenbefüller erheblich länger neben dem Domschacht der Kesselwagen aufhalten mußten als die TKW-Fahrer. Die personenbezogenen Messungen hätten ergeben, daß die relevanten Schadstoffkonzentrationen im Einatmungsbereich der Befüller weit unterhalb der vorgegebenen Grenzwerte lagen”.
Die Beklagte holte ein Zusammenhangsgutachten von Prof. Dr. G., Leitender Oberarzt der … der CAU ein. Dieser kam unter dem 25. Oktober 1996 aufgrund der Akten zu folgendem Ergebnis: Der Zusammenhang mit der beruflichen Exposition sei naheliegend, wenngleich die exakte Belastung durch Benzol retro...