Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgeblicher objektiver Umstand für ein manipuliertes Unfallereignis ist die fehlende Kompatibilität, wenn sich das Schadensbild am Klägerfahrzeug nicht mit dem behaupteten und von dem vermeintlichen Unfallverursacher bekundeten "Unfallhergang" technisch in Einklang bringen lässt.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich trägt der Schädiger die Beweislast, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann für die Überzeugungsbildung des Tatrichters genügen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. Ausschlaggebend ist dabei eine Gesamtwürdigung, bei der aus einer Indizienkette auf die planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann. Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des gegnerischen Haftpflichtversicherers begründen.

2. Maßgeblicher objektiver Umstand für ein manipuliertes Ereignis ist die fehlende Kompatibilität, wenn sich das Schadensbild am Klägerfahrzeug nicht mit dem behaupteten und von dem vermeintlichen Unfallverursacher bekundeten "Unfallhergang" (hier rückwärtigen Ausparkvorgang) technisch in Einklang bringen lässt.

3. Weitere für eine Manipulation sprechende Umstände sind: hochwertiges Geschädigtenfahrzeug der Oberklasse (hier Mercedes-Benz E 250) und Vollkasko versichertes, älteres Fahrzeug auf Beklagtenseite; lukrativer Streifschaden, der meist wesentlich kostengünstiger in Privat-/Niedrigpreiswerkstätten oder in Eigenregie repariert werden kann; Kollision auf einem Parkplatz, wo wegen geringer Geschwindigkeiten Blechschäden - ohne besonderes Risiko für Personenschäden - dosiert beigebracht werden können.

4. Wenn der vermeintliche Unfallverursacher als Zeuge zum Unfallhergang bereits vom Gericht ausführlich gehört worden ist und danach ein überzeugendes Sachverständigengutachten eingeholt wurde, dass - im Widerspruch zur Zeugenaussage - keine entsprechende technische Kompatibilität des Schadenshergangs festgestellt hat, ist in der Regel eine erneute Zeugenvernehmung nicht mehr erforderlich. Ein Gehörsverstoß liegt nicht vor. Der behauptete Unfallhergang wäre nämlich nur mit einer an das Sachverständigengutachten entsprechend angepassten Zeugenaussage plausibel erklärbar. Solche Bekundungen wären aber wenig überzeugend und wegen Widerspruchs zur vorherigen Aussage auch unglaubhaft.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 823 Abs. 1-2; GG Art. 103; StVG § 7 Abs. 1, § 17; VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Urteil vom 15.09.2022; Aktenzeichen 4 O 3/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 15.09.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe, Aktenzeichen 4 O 3/21, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Itzehoe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.844,63 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger beansprucht von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 8.844,63 EUR aufgrund einer Kollision, die sich am 21.10.2020 auf einem Privatparkplatz des Grundstücks ... in W1 ereignet haben soll. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Zeugin S1 (vormals ...) mit ihrem bei der Beklagten versicherten Pkw Renault Megane (Kennzeichen: ...) beim Ausparken gegen sein Fahrzeug (Mercedes-Benz E-Klasse, amtl. Kennzeichen: ...) gekommen und an der linken Fahrerseite seines Fahrzeuges entlang geschrammt sei. Der Schaden setze sich zusammen aus den geschätzten Reparaturkosten in Höhe von 7.672,99 EUR netto, Gutachterkosten in Höhe von 1.146,64 EUR brutto sowie einer Kostenpauschale von 25,00 EUR.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die X Bank AG fiktive Reparaturkosten in Höhe von netto 7.672,99 EUR sowie an den Kläger Gutachterkosten in Höhe von brutto 1.146,64 EUR und eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.12.2020 zu zahlen, sowie

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Y Rechtsschutzversicherung AG vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 787,76 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, dass es sich um einen manipulierten Unfall gehandelt habe. Die Angaben der Zeugin S1 zum Unfallhergang seien nicht plausibel. Außerdem seien die Schäden an den unfallbeteiligten Fahrzeugen nicht kompatibel und würden insbesondere auch nicht zu dem in der Schadensanzeige vom 13.11...

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