Entscheidungsstichwort (Thema)

Objektiv willkürlicher Verweisungsbeschluss: Nichtanwendung von § 29 ZPO bei einvernehmlicher Rückabwicklung eines Kaufvertrages nach Mängelrüge

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 29 ZPO ist auch anwendbar, wenn der Käufer, der einen Mangel behauptet, nach einvernehmlicher Rückabwicklung (seitens des Verkäufers aus "Kulanz") die Rückzahlung des (restlichen) Kaufpreises einklagt, weil § 29 ZPO bei Rückabwicklungen gleich welcher Art greift.

2. Ein Entfall der Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO wegen objektiver Willkür ist erst dann anzunehmen, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, etwa wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Ein objektiv willkürlicher, weil nicht mehr nachvollziehbarer Verweisungsbeschluss liegt vor, wenn das verweisende Gericht mit seiner Entscheidung von einer in Rechtsprechung und Literatur seit Jahrzehnten nahezu einhellig vertretenen Rechtsauffassung abweicht, ohne sich mit der herrschenden Meinung in seinem Verweisungsbeschluss inhaltlich auseinanderzusetzen oder sie dort überhaupt nur zu erwähnen.

3. Hält das verweisende Gericht § 29 ZPO bei einvernehmlicher Rückabwicklung (seitens des Verkäufers aus "Kulanz") allein deshalb für nicht einschlägig, weil der Käufer nicht zurückgetreten sei, ist diese Begründung derart unzureichend, dass der Beschluss insgesamt nicht mehr nachvollziehbar ist. Zumindest mit der Frage, ob nicht § 29 ZPO auch für die im vorliegenden Fall erfolgte einvernehmliche Rückabwicklung Anwendung findet, hätte sich das Gericht auseinandersetzen müssen, weil § 29 ZPO bei Rückabwicklungen gleich welcher Art greift. Ohne diese Auseinandersetzung ist eine derartige Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt mehr nachvollziehbar, sodass sie keine Bindungswirkung entfaltet.

 

Normenkette

ZPO §§ 29, 36, 281 Abs. 2 S. 4

 

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Schwarzenbek bestimmt.

 

Gründe

I. Der Kläger erwarb bei der Beklagten über ebay eine Pressmaschine. Nachdem der Kläger die Pressmaschine erhalten hatte, rügte er gegenüber der Beklagten die Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes. Hierauf erklärte sich die Beklagte bereit, die Maschine aus Kulanz zurückzunehmen. In der Folge kam es zwischen den Parteien zum Streit über den Zustand, in dem die Maschine bei der Beklagten ankam. Die Beklagte rügte Schäden an der Pressmaschine und zahlte lediglich einen Teil des Kaufpreises zurück.

Der Kläger hat am 01.08.2022 vor dem Amtsgericht Schwarzenbek Klage erhoben. Er verlangt die Rückzahlung des restlichen Kaufpreises, der Versandkosten sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Schwarzenbek, die Beklagte hat ihren Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Husum.

Mit Verfügung vom 22.08.2022 hat das Amtsgericht Schwarzenbek darauf hingewiesen, dass es örtlich unzuständig sei. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten befinde sich im Bezirk des Amtsgerichts Husum. Ein besonderer Gerichtsstand im Bezirk des Amtsgerichts Schwarzenbek dürfte nicht einschlägig sein.

Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 26.08.2022 Stellung genommen und auf eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Schwarzenbek gemäß § 29 ZPO verwiesen. Zuständig sei das Gericht, bei dem sich der Kaufgegenstand im Zeitpunkt des Rücktrittes befinde. Die Beklagte habe die Rücknahme des Gegenstandes aus Kulanz eingeräumt, als sich die defekte Maschine beim Kläger befunden habe.

Nach Eingang dieses Schreibens hat das Amtsgericht Schwarzenbek mit Verfügung vom 26.09.2022 um Mitteilung gebeten, ob Verweisungsantrag gestellt werde. Ein besonderer Gerichtsstand gemäß § 29 ZPO greife nicht, weil die Rückabwicklung nicht aufgrund eines gesetzlichen oder vertraglichen Rücktrittsrechts erfolgt sei.

Daraufhin hat der Kläger durch Schriftsatz vom 12.10.2022 mitgeteilt, der Auffassung des Amtsgerichts Schwarzenbek nicht zuzustimmen, jedoch vorsorglich Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Husum zu beantragen.

Mit Beschluss vom 17.10.2022 hat sich das Amtsgericht Schwarzenbek für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Amtsgericht Husum verwiesen, in dessen Bezirk sich der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten befinde. Ein besonderer Gerichtsstand, aus dem sich die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schwarzenbek ergeben würde, sei nicht gegeben. Insbesondere greife § 29 ZPO nicht, weil die Rückabwicklung nicht auf einem gesetzlichen oder vertraglichen Rücktrittsrecht beruhe, der Kläger sei nicht zurückgetreten.

Durch Verfügung vom 25.10.2022 hat das Amtsgericht Husum den Parteien mitgeteilt, die Übernahme ablehnen zu wollen. Das Amtsgericht Schwarzenbek sei gemäß § 29 ZPO zuständig, der Verweisungsbeschluss entfalte keine Bindungswirkung. Der Kläger hat hierauf mitgeteilt, die Auffassung des Amtsgerichts Husum zu teilen, die Beklagte hat mitgeteilt, die Auff...

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