Leitsatz (amtlich)
Im Falle gefälschter Impfpässe schließen die §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung eine Strafbarkeit nach der allgemeinen Vorschrift des § 267 StGB nicht aus (Anschluss an Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27.01.2022 - 1 Ws 114/21 - bei juris).
Verfahrensgang
AG Lübeck (Entscheidung vom 07.09.2021) |
Tenor
Hintergrund der Entscheidung:
Der Beschuldigte ist nach einem Arrestbeschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 07. September 2021 dringend verdächtig, spätestens seit Mai 2021 über die Telegramm-Chatgruppe "..." gefälschte Impfpässe gegen Bezahlung an eine Vielzahl von Personen abgegeben zu haben. Die Impfpässe enthielten jeweils wahrheitswidrige, unterschriebene Einträge über die Verabreichung zweier Impfdosen mit einem Vakzin gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Für die falschen Impfpässe vereinnahmte der Beschuldigte Beträge zwischen 100,- € für einen einzelnen Ausweis und 500,-€ für 10 Impfausweise.
- Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
- Es wird gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 73 Absatz 1, 73c und 73d StGB zur Sicherung der Einziehung des Wertes des Taterlangten ein Vermögensarrest in Höhe von 116.300 Euro in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten angeordnet.
- Eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist der Entscheidung über die Verfahrenskosten im Hauptverfahren vorbehalten.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Lübeck - Ermittlungsrichter - hatte am 7. September 2021 einen Vermögensarrest in Höhe von 116.300 € in das Vermögen des Beschuldigten angeordnet. Hiergegen wandte sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde vom 22. September 2021, woraufhin das Landgericht Lübeck - Große Strafkammer IV - mit ihrem Beschluss vom 10. Januar 2022 die Arrestanordnung aufhob.
Zur Begründung hat die Kammer im Wesentlichen ausgeführt, einer Strafbarkeit nach § 277 StGB in der zur Tatzeit von Mai 2021 bis August 2021 geltenden Fassung stehe entgegen, dass keine tatsächlichen Anhaltspunkte zu erkennen seien, der Beschuldigte selbst oder die Käufer der von ihm gefälschten Impfpässe hätten diese bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft vorgelegt.
Die demnach bestehende Strafbarkeitslücke sei erst durch die Gesetzesänderung der §§ 277, 279 StGB zum 24. November 2021 geschlossen worden.
Ein Rückgriff auf § 267 StGB sei daneben nicht mehr möglich. Bei § 277 StGB a. F. handele es sich um eine Spezialregelung mit einer privilegierten Strafandrohung, die die Anwendung des § 267 StGB ausschließe, unabhängig davon, ob der Tatbestand des § 277 StGB a. F. erfüllt sei oder nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck, der die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein beigetreten ist. Die Kammer hat gemäß § 307 Abs. 2 StPO zwar die Vollziehung des Beschlusses bis zur Entscheidung über die weitere Beschwerde ausgesetzt, dieser aber nicht nach § 306 Abs. 2 StPO abgeholfen.
II.
Die gemäß §§ 304, 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO zulässige weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Lübeck ist begründet, so dass der Beschluss des Landgerichts Lübeck aufzuheben und der Vermögensarrest wie unter Ziffer 2. tenoriert anzuordnen war.
Der im Rahmen des § 111e Abs. 1 StPO erforderliche, aber auch genügende einfache Tatverdacht im Hinblick auf eine spätere gerichtliche Einziehung von Taterträgen bei einem Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Tat (§ 73 Abs. 1 StGB) liegt vor, nämlich im Hinblick auf die Verwirklichung einer Urkundenfälschung gemäß 267 StGB durch den Beschuldigten. Dieser hat die objektiven und subjektiven Voraussetzungen dieses Tatbestandes mindestens im Sinne eines Anfangsverdachts verwirklicht (hierzu unter 1.). Dessen Anwendung ist auch nicht infolge einer Sperrwirkung des § 277 StGB a. F. ausgeschlossen (hierzu unter 2.).
1. Die derzeitigen Ermittlungsergebnisse lassen genügende Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Beschuldigte in Gestalt gefälschter Impfpässe unechte Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB herstellte, wobei er dahingehend zur Täuschung im Rechtsverkehr handelte, dass er - was ausreicht - sicher wusste, dass diese Falsifikate bei Kontrollstellen zur Erhebung des Impfstatus von den Erwerbern vorgezeigt würden, um erfolgte Impfungen vorzuspiegeln.
2. Der Tatbestand der Urkundenfälschung wird nicht dadurch unanwendbar, dass zur Tatzeit mit § 277 StGB a. F. (Fälschung von Gesundheitszeugnissen) ein anderer Tatbestand existierte, der - obwohl er mangels Verwendungswillens gegenüber Behörden oder Versicherungsgesellschaften möglicherweise gar nicht erfüllt ist - eine Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB entfalten könnte.
Hinsichtlich dieser in Rechtsprechung (LG Osnabrück Beschluss vom 26. Oktober 2021 - Qs 38/21; LG Karlsruhe Beschluss vom 26. November 2021 - 19 Qs 90/21; LG Hechingen Beschluss vom 13. Dezember 2021 - 3 Qs 77/21; LG Landau Beschluss vom 13. Dezemb...