Entscheidungsstichwort (Thema)
Polizeirechtlicher Entschädigungsanspruch gem. § 222 LVwG SH bei nur mittelbar erlittenen Vermögensnachteilen
Normenkette
VwG SH §§ 222, 223 Abs. 1 S. 2
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 3. August 2018 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen geändert.
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 46.453,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2016 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin gegen Herrn K.
Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin macht einen Anspruch wegen einer von der Polizei N. angeordneten Straßensperre geltend.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Autohauses, das an der S-Chaussee in N. liegt. In der Nacht vom 6. auf den 7. November 2015 errichtete die Polizei genau dort eine Straßensperre, um einen Herrn K. zu stoppen. Dieser war mit einem gestohlenen Auto mit defekter Beleuchtung unterwegs, hatte sich mit überhöhter Geschwindigkeit einer Personenkontrolle entzogen, rote Ampeln überfahren und sogar Warnschüsse ignoriert. Als K. sich der Straßensperre näherte, versuchte er, seitlich daran vorbeizufahren. Dabei verlor er die Gewalt über das Fahrzeug und demolierte einen Zaun auf dem Firmengelände der Klägerin sowie drei ihrer dort abgestellten Fahrzeuge. Der Klägerin entstand ein Schaden in Höhe von 48.453,89 EUR.
Da das Auto nicht versichert und K. vermögenslos war, verlangte die Klägerin ihren Schaden von dem beklagten Land ersetzt. Der Generalstaatsanwalt lehnte die Regulierung ab. Die Klägerin hat ihren Anspruch mit der Klage geltend gemacht. Sie hat ihren Anspruch dabei auf Amtshaftungsgesichtspunkte und die Grundsätze des enteignenden Eingriffs sowie auf §§ 221, 222 LVwG des Landes Schleswig-Holstein, einer spezialgesetzlichen Ausprägung des Rechtsinstituts des enteignenden Eingriffs gestützt.
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für den geltend gemachten Anspruch müsse die sogenannte Schwelle der Sozialbindung überschritten sein. Das sei hier deshalb nicht der Fall, weil die Errichtung der Straßensperre kein entscheidendes Glied der Ursachenkette sei. Die Straßensperre sei nämlich eher zufällig gerade vor dem Grundstück der Klägerin errichtet worden. Maßgebliche Schadensursache sei allein das kriminelle Verhalten von K. selbst gewesen. Für die Klägerin habe sich letztlich nur das ganz allgemeine Risiko verwirklicht, durch kriminelles Handeln geschädigt zu werden.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, in deren Begründung sie sich nur noch auf die Grundsätze des enteignenden Eingriffs stützt. Die Klägerin meint, die polizeiliche Maßnahme sei durchaus das entscheidende Glied in der Ursachenkette gewesen. Die Gefahr, dass K. durch die Straßensperre nicht zu stoppen sein würde, habe nämlich geradezu auf der Hand gelegen.
Sie beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 48.453,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2016 sowie nicht erstattungsfähige außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 775,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2016 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin gegen Herrn K.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt das angefochtene Urteil.
II. Die Änderung des landgerichtlichen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 S.1 Nr. 2 ZPO kurz begründet:
Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen das beklagte Land in Höhe von 46.453,89 EUR.
Der Anspruch ergibt sich aus §§ 221, 222 LVwG. Nach diesen Vorschriften kann u.a. derjenige eine Entschädigung verlangen, der durch eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr einen billigerweise nicht zumutbaren Schaden erlitten hat, der aber nicht Verantwortlicher nach §§ 218, 219 LVwG war und der nicht nach § 220 LVwG in Anspruch genommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Straßensperre diente in erster Linie der Gefahrenabwehr, nämlich der Abwehr der Gefahr, die von K.'s Flucht ausging. K. war mit einem nicht versicherten Auto und mit defekter Beleuchtung unterwegs. Er war mit überhöhter Geschwindigkeit geflüchtet und hatte sogar Warnschüsse ignoriert. Außerdem intensivierte sich mit der Flucht die Verletzung der Rechte des Eigentümers des Autos. Damit gefährdete die Fahrt die öffentliche Sicherheit. Dass die ...