Leitsatz (amtlich)

Zum substantiierten Vortrag einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Fahrzeug (hier ein VW Tiguan 2,0 TDI mit einem Motor EA 288, SCR-Katalysator, Erstzulassung 2015)

 

Normenkette

BGB § 826

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29.04.2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen in sein Fahrzeug eingebauter unzulässiger Abschalteinrichtungen.

Der Kläger kaufte von der X GmbH am 11.03.2019 einen gebrauchten VW Tiguan 2,0 TDI zu einem Preis von 18.430,00 EUR (Anlage K 1, AB). Das Fahrzeug ist mit einem Motor EA 288 ausgestattet. Es ist in die Schadstoffklasse EU 6 eingeteilt.

In dem Motor wird der Stickoxidausstoß einerseits über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, d. h. abhängig u. a. von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung. Die Beklagte hat das in den Fahrzeugen mit einem Motor EA implementierte Thermofenster am 16.01.2016 beim Kraftfahrt-Bundesamt vorgestellt.

Andererseits ist in dem Fahrzeug ein SCR-Katalysator (selective catalytic reduction) eingebaut. In diesem Katalysator wird Stickoxid unter Zugabe von Harnstofflösung (AdBlue) in andere Stoffe umgewandelt.

Aus einer Entscheidungsvorlage vom 18.11.2015 für den Motor EA 189 (Anlage K 2b, AB I) ergibt sich, dass sowohl in Motoren EA 189 als auch in Motoren EA 288 eine Funktion ausgebaut werden solle. In bis zur 22. KW 2016 hergestellten Fahrzeugen enthielt die Motorsteuerung eine Fahrkurvenerkennung bzw. Akustikfunktion. Die Motorsteuerung erkannte die Durchführung des NEFZ. Sie hielt dann die Abgasrückführungsrate auch im letzten Teil des NEFZ nach Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators hoch. Mit einer Applikationsrichtlinie vom 18.11.2015 (Anlage K 2d, AB I) entschied die Beklagte, diese für ab der 22. KW 2016 hergestellte Fahrzeuge nicht mehr zu verwenden.

Das Fahrzeug des Klägers ist von keinem Rückruf betroffen. Es gibt für vergleichbare Fahrzeugtypen Rückrufe als freiwillige Kundendienstmaßnahmen (Kundeninformation Anlage K 2h, AB I). Das Modell T 6 war von einem Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung betroffen, weil festgestellt worden war, dass es bei der Regeneration des Partikelfilters zu höheren Stickoxidemissionen kam als angenommen.

Fahrzeuge mit Motoren EA 288 waren im Jahr 2016 Gegenstand der Untersuchungen, die nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals durchgeführt wurden. Dabei wurden Messungen mit leichten Abweichungen vom NEFZ durchgeführt, etwa mit anderen Geschwindigkeiten oder bei anderen Temperaturen. Die Grenzwerte wurden dabei jeweils eingehalten (Bericht der Untersuchungskommission Anlage B 1, AB I). In verschiedenen Auskünften bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt, dass in verschiedenen Fahrzeugtypen mit Motoren EA 288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien (Anlagen BE 4, AB) und die Fahrkurvenerkennung keinen Einfluss auf die Emissionen habe (Anlagen BE 1, BE 4, AB). Bei Abgasmessungen im Straßenverkehr durch verschiedene Einrichtungen wurden die Grenzwerte überschritten (Anlagen K 2g, K 2k, 3, AB I).

Der Kläger hat behauptet, der Motor enthalte eine Akustikfunktion wie der Motor EA 189, die zu einem Moduswechsel führe.

Durch die Zykluserkennung werde die Einspritzung von AdBlue reduziert. Die optimale Dosierung von AdBlue erfolge nur während 2 oder 3 % der Fahrzeit. Sie werde bei Erreichen einer bestimmten Motortemperatur reduziert. Je nach Füllstand des AdBlue-Tanks nehme der Wirkungsgrad des SCR-Katalysators ab.

Das Thermofenster funktioniere optimal zwischen 20 °C und 30 °C. Unter 17 °C und über 30 °C werde die Abgasrückführung abgeschaltet. Das Thermofenster sei technisch nicht erforderlich, weil es andere Mittel zur Abgasnachbehandlung gebe und die Umgebungstemperatur keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Abgasrückführungssystems habe.

Die Abgasrückführung werde bei 2.750 Umdrehungen abgeschaltet.

Das On-Board-Diagnosesystem (OBD) sei so manipuliert, dass es fälschlich ordnungsgemäß funktionierende Abgassysteme melde.

Die Tests für die Untersuchungskommission seien an gereinigten Fahrzeugen durchgeführt worden. Ein Test bei 10 °C sei nicht durchgeführt worden.

Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von 15.801,22 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen die Übereignung des Fahrzeugs, hilfsweise die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs, sowie die Feststellung des Annahmeverzugs, die Feststellung eines Delikts und die Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat Klagabw...

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