Leitsatz (amtlich)

Kein Schadensersatz für einen Fußgänger, der auf einer nicht vollständig schnee- und eisfreien Fahrbahn in einem Kreuzungsbereich deshalb stürzt, weil er den geräumten markierten Fußgängerüberweg in Höhe einer Verkehrsinsel verlässt, um auf kürzerem Wege zu seinem Ziel zu gelangen.

 

Orientierungssatz

Streupflicht im Kreuzungsbereich für Fußgänger

 

Normenkette

BGB § 839; StVO § 25

 

Beteiligte

Rechtsanwälte Reiche, Berlage und Dr. Ahrens

Rechtsanwalt Schmidt-Mattern

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Urteil vom 07.10.1998; Aktenzeichen 9 O 88/97)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 07. Oktober 1998 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck geändert und die Klage abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren und der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 12.808 DM (Zahlungsanspruch 1.808 DM; Schmerzensgeldanspruch 10.000 DM; Feststellungsanspruch 1.000 DM).

 

Gründe

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf das begehrte Schmerzensgeld und auf materiellen Schadensersatz wegen des Glätteunfalls am 04. Januar 1996 aus den §§ 839, 847 BGB i. V. mit Art. 34 GG zu.

Allerdings ist auch die Beklagte gemäß § 45 Abs. 2 Straßen- und WegeG Schleswig-Holstein verpflichtet, die Schnee- und Eisbeseitigung nicht nur auf Gehwegen oder Fußgängerüberwegen, sondern auch auf solchen besonders gefährlichen Fahrbahnstellen vorzunehmen, bei denen die Gefahr auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar ist. Danach muss eine Gemeinde für Fußgänger innerhalb der geschlossenen Ortschaft nicht nur auf nach Maßgabe der StVO markierten Fußgängerüberwegen sondern auch auf sonstigen belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwegen streuen, soweit dafür ein Bedürfnis des Verkehrs besteht. Hinzukommen muss dann allerdings eine besondere Gefährlichkeit gerade auch für den Fußgängerverkehr. Notwendig ist des weiteren, dass die fragliche von den Fußgängern benutzte Stelle auch für das Überqueren durch Fußgänger vorgesehen ist (vgl. BGH VersR 1969, 667; BGH VersR 1966, 90, 92; OLG Hamm, VersR 1978, 950 und OLG Düsseldorf VersR 1988, 274, 275).

Im vorliegenden Fall bestand nach diesen Grundsätzen aber eine Streupflicht für die Beklagte auf der Fahrbahn im unmittelbaren Einmündungsbereich des N Weges in den Kreuzungsbereich Sstraße/Mstraße/Kstraße – also im Bereich der von der Klägerin bezeichneten Unfallstelle – zu Gunsten von Fußgängern nicht, denn dieser Straßenbereich war ersichtlich für das Überqueren durch Fußgänger nicht vorgesehen.

Um an dieser Stelle die Fahrbahn zu überqueren, musste nämlich die Klägerin den markierten Fußgängerüberweg im Sinne von § 26 StVO auf dessen Mitte, in Höhe der dort vorhandenen Verkehrsinsel, verlassen und nach links abbiegen. Schon das von der Beklagten vorgelegte Bildmaterial betreffend die dortige Straßensituation ohne einen vorhandenen Schneebelag macht deutlich, dass die Erbauer dieser Verkehrsanlage von einer Überquerung der Einmündung des N Weges in Höhe der Verkehrsinsel nicht ausgegangen sind. Die erhöhten Seitenbereiche der Verkehrsinsel sind ersichtlich nur dazu bestimmt, die dort angebrachten Verkehrszeichen zu tragen und zur Verkehrsregelung in diesem komplizierten Kreuzungsbereich, in dem 5 Straßen aufeinanderstoßen, beizutragen.

Im Übrigen ergibt sich aus § 25 Abs. 3 Satz 2 StVO, dass bei der Überschreitung von Kreuzungsbereichen durch Fußgänger die dort angebrachten Fußgängerüberwege stets zu benutzen sind. Die Klägerin hatte deshalb schon nach dieser Vorschrift den markierten Fußgängerweg vollständig zu nutzen und ihn nicht etwa auf seiner Mitte in Richtung auf die nicht markierte Fahrbahn zu verlassen. Es ist anerkannt, dass markierte Fußgängerüberwege an Kreuzungen auch dann zu benutzen sind, wenn der Fußgänger dann unter Umständen eine Fahrbahn mehr überqueren muss. Dies gilt gerade auch dann, wenn in einem Kreuzungsbereich nicht alle Überwegungen der verschiedenen zu überquerenden Straßen mit Fußgängerüberwegen im Sinne der StVO markiert sind (KG Berlin, VM 1969, 17 f.; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl. 1999, § 25 StVO Rnr. 43). Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin danach den markierten Fußgängerüberweg vollständig zu überqueren und von dem dann erreichten Bürgersteig aus die dortige Einmündung des N Weges zu überqueren, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Das vorgelegte Bildmaterial aus der Zeit vor den baulichen Änderungen im Frühjahr 1998 macht auch deutlich, dass sich auf der dann erreichten anderen Straßenseite im Einmündungsbereich des N Weges keinesfalls allein eine „Mauer” befand. Vielmehr war auch schon damals um das auf der Ecke der Einmündung des N Weges stehende Haus ein Fußweg in den N Weg hinei...

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