Leitsatz (amtlich)
1. In der Rechtsschutzversicherung ist, wenn es an einem verbindlichen Stichentscheid fehlt, der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer vom Versicherungsnehmer beabsichtigten Klage der Zeitpunkt der sog. Bewilligungsreife und nicht der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (entgegen OLG Stuttgart, Urteil vom 25. Januar 2024, 7 U 195/22, Rn. 24, 29 bei juris, OLG Hamm, Urteil vom 5. Mai 2023, 20 U 144/22, VersR 2023, 1290, Rn. 67ff. bei juris; Thüringer OLG, Beschluss vom 12. Mai 2023, 4 U 660/22, Rn. 72ff. bei juris).
2. Wenn zur Einleitung eines Stichentscheidverfahrens nach § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB gehört, dass der Versicherungsnehmer der Auffassung des Versicherers nicht zustimmt, so erfordert das neben der Auseinandersetzung mit den konkreten Einwänden des Versicherers auch eine Erklärung innerhalb eines Zeitraums, binnen dessen der Versicherer nach den Umständen eine Reaktion seines Versicherungsnehmers auf seine Ablehnungsentscheidung erwarten kann. Ein nach Jahr und Tag (bzw. im Streitfall zwei Jahren und 114 Tagen) hergereichter sog. Stichentscheid ist kein solcher, sondern vielmehr ein (zulässiger) neuer Antrag.
Verfahrensgang
LG Lübeck (Urteil vom 08.12.2023; Aktenzeichen 3 O 135/23) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 8. Dezember 2023 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Deckung für die außergerichtliche und erstinstanzliche Wahrnehmung seiner Interessen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines PKWs.
Der Kläger genießt als (mit-)versicherte Person bei der Beklagten Versicherungsschutz in einer Rechtsschutzversicherung, der die ARB 2016 (Anlage K 1) zugrunde liegen.
Im Juli 2018 erwarb er bei der Niederlassung der Mercedes-Benz GroupAG in H. zu einem Preis von 35.299,99 EUR einen gebrauchten Kleinbus des Modells Mercedes-Benz V 220 CDI Blue Efficiency mit einer Laufleistung von 88.110 km; das Fahrzeug ist mit einem OM 651-Diesel-Motor ausgerüstet und verfügt über eine Abgasreinigung.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2020 ließ der Kläger durch die G. Rechtsanwälte Deckung für ein außergerichtliches und klageweises Vorgehen gegen Mercedes-Benz mit dem Ziel der Rückabwicklung beantragen, was vornehmlich mit dem Vorliegen eines sog. Thermofensters begründet wurde. Bereits am 17. Juli 2020 wandten sich diese - erfolglos - deswegen an Mercedes-Benz. Mit Schreiben vom 6. August 2020 (Anlage K 3, Bl. 39 Anlagen Kläger) lehnte die Beklagte die Deckung unter Berufung auf fehlende Erfolgsaussichten ab. Nachdem der Kläger im Februar 2021 unter Vorlage eines Schreibens von Mercedes-Benz über eine freiwillige Servicemaßnahme vom Januar 2021 (Anlage K 11) eine erneute Anfrage stellte, übersandte die Beklagte mit Nachricht vom 5. Februar 2021 (Anlage K 5, Bl. 46ff. Anlagen Kläger) nochmals das genannte Ablehnungsschreiben.
In einem als "Stellungnahme (Stichentscheid)" bezeichneten 102seitigen Schreiben vom 28. November 2022 kamen die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch gegen Mercedes-Benz aus § 826 BGB zwar nicht wegen des Thermofensters, aber wegen des Vorliegens einer Kühlmittelsolltemperatur-Regelung bestehe, ferner im Lichte der Anträge des Generalanwalts Rantos vor dem EuGH ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europäischen Abgasnormen wegen des Verbaus des Thermofensters und wenigstens einer weiteren unzulässigen Abschalteinrichtung, beide Ansprüche gerichtet auf Rückabwicklung des Erwerbs. Die Beklagte teilte daraufhin mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 (Anlage K 8, Bl. 161 Anlagen Kläger) mit, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abgewartet werden solle; Kosten für die Erstellung des Stichentscheids würden nicht übernommen. Am 14. Februar 2023 schloss der Kläger einen Prozesskostenfinanzierungsvertrag mit der S. GmbH (Anlage K 9, Bl. 167 Anlagen Kläger), wonach er im Erfolgsfalle 35 % des aus dem Prozess erzielten Erlöses als Provision schulden solle.
Mit seiner im April 2023 zugestellten Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihm aus dem Vertrag für die außergerichtliche und erstinstanzliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Mercedes-Benz Deckungsschutz zu gewähren habe, weiter die Feststellung, dass sie ihm sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen habe, die aus der Versagung der begehrten Deckungszusage resultierten, und schließlich die Freistellung von den Kosten des Stichentscheids von 919,87 EUR.
Er hat zunächst die Ausführungen im "Stichentscheid" wiederholt. Dieser sei bindend gewesen. Ohnehin bestehe Deckung, weil die Beklagte ihn über die Möglichkeit des Stichentscheids nicht ordnungsgemäß belehrt habe, ihre Ablehnung verspätet und zudem mangels Unterschrift formunwirksam gewesen sei.
Mit Schriftsatz vom 18. Sept...