Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung aufgrund ärztlicher Heilbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Abfindungsvergleich kann dem Einwand der unzulässigen Rechtsauübung ausgesetzt sein, wenn sich nach dem Auftreten unvorhergesehener Spätfolgen ein krasses Mißverhältnis zwischen Vergleichssumme und Schaden ergibt.

2. Die Frage unvorhergesehener Spätfolgen ist nach dem maßgeblichen normativen Standard verständiger und redlicher Vertragspartner zu beurteilen.

3. Bei der Entscheidung zur berechtigten Höhe einer Nachforderung ist zum einen der bereits geleistete Schadensersatz zu berücksichtigen und zum anderen, daß der weitere Ausgleich nur zwecks Vermeidung eines krassen Mißverhältnisses zwischen Vergleichssumme und Schaden geboten ist.

 

Orientierungssatz

Schadensersatznachforderung trotz umfassenden Abfindungsvergleichs.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 831 Abs. 1, § 847 Abs. 1, § 852 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Flensburg (Aktenzeichen 2 O 116/91 = 7 O 268/87)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28.07.1998 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu zahlen

125.000,00 DM

nebst 4 % Zinsen ab 11.06.1998.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen; die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 135.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert der Beschwer beträgt für die Klägerin und die Beklagte jeweils über 60.000,00 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz von materiellem und immateriellem Schaden ab 05/1993 in Anspruch, den sie auf 1957 unterlaufene Behandlungsfehler im Krankenhaus der Beklagten zurückführt.

I. 1. Die am 17.05.1943 geborene Klägerin wurde vom 04.11. bis 06.12.1957 wegen Meningitis im S-Hospital, in dem ihre Mutter als Nachtschwester beschäftigt war, stationär behandelt. In diesem Zeitraum erhielten die Handrücken der Klägerin wegen Warzenbildung 5 × eine Röntgenbestrahlung, wodurch es jedoch zu erheblichen Verbrennungen an beiden Händen kam. Deshalb schloß sich vom 17. bis 28.12.1957 eine weitere stationäre Behandlung wegen der bestrahlten Hände an.

In11/1958 erfolgte eine Untersuchung der Hände in der Universitäts-Hautklinik Kiel durch Prof. Dr.P. Es wurde eine Röntgenverschwielung der Haut beider Handrücken mit Narben, Pigmentverschiebung, Nagelwachstumsstörungen sowie sklerosierenden Prozessen im Unterhautbindegewebe sowie im Sehnen- und Bänderapparat der Handgelenkstreckseiten festgestellt (vgl. Bl. 25 f). Mit (Anwalts-)Schreiben vom 10.03.1959 teilte die Klägerin der Haftpflichtversicherung der Beklagten mit: die bereits ein Jahr nach der Röntgenstrahlenapplikation festzustellenden schweren Veränderungen stellten nach einer gutachtlichen Stellungnahme von Prof. Dr. P erst den Beginn einer langsam fortschreitenden Strahlenschädigung dar (vgl. Anl. Bl. 16).

Durch Schriftwechsel vom 11.08. bzw. 22.08.1959 zwischen der Anwältin der Klägerin und der Haftpflichtversicherung der Beklagten (Anl. Bl. 35 ff) kam es zu einemZwischenvergleich. Danach sollten durch Zahlung von 5.000,00 DM alle – auch zukünftigen – Ansprüche auf Schmerzensgeld und ferner der bis 31.12.1959 entstandene materielle Schaden abgegolten sein. Spätestens in 07/1960 sollte eine erneute fachärztliche Untersuchung der Klägerin stattfinden, an die sich weitere Verhandlungen über etwaige Schäden anschließen sollten.

Am 04.10.1961 erstattete dementsprechend Prof. Dr. Dr.K (Universitäts-Hautklinik Hamburg-Eppendorf) nach einer Untersuchung der Klägerin ein hautfachärztliches Gutachten, das u. a. feststellte (Bl. 24 ff): Die rechte Hand könne nicht zur Faust geschlossen werden; der linke Zeigefinger stehe ab (Versteifung). Wachstumsstörungen bestünden offenbar nicht. Die Klägerin habe Schwierigkeiten beim An- und Auskleiden, Schuhe schnüren und Tragen schwerer Gegenstände. Eine Besserung des Zustandes durch konservative Maßnahmen sei nicht zu erwarten; eine Verschlechterung hingegen sei möglich. Relativ geringfügige Verletzungen der atrophischen Haut könnten schlecht heilende Geschwüre im Sinne eines Spätschadens zur Folge haben. Die schließliche Ausbildung eines Strahlenkrebses sei trotz des jugendlichen Alters unwahrscheinlich, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen. Es bestünden zur Zeit weder Geschwüre noch Verhornungen als Vorstufen eines Strahlenkrebses.

Mit (Anwalts-)Schreiben vom 28.08.1962 teilte die Klägerin der Haftpflichtversicherung der Beklagten u. a. mit (Bl. 64 f): Sie sei als Gymnastiklehrerin beschäftigt und könne nach den bisherigen Erfahrungen auf Dauer ihren erlernten Beruf ausüben. Eine Besserung der Gebrauchsfähigkeit ihrer Hände sei allerdings nicht festzustellen. Als dauernder Schaden erwüchsen ihr erhöhte Aufwendungen durch die tägliche Inanspruchnahme ...

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