Rz. 22
Damit die volle 1,3-Verfahrensgebühr nach VV 3100 entsteht, sind bestimmte Tätigkeiten des Verfahrensbevollmächtigten erforderlich. Er muss – bevor sein Auftrag endet – entweder die Klage bzw. einen ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der bestimmte Anforderungen erfüllen muss, eingereicht oder für seine Partei einen Termin wahrgenommen haben. Die jeweiligen Tätigkeiten müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern können auch alternativ gegeben sein, so dass im Ergebnis schon ein Schriftsatz mit Sachvortrag für die Entstehung einer vollen 1,3-Verfahrensgebühr genügt.
aa) Tatsächlich erfolgte Einreichung
Rz. 23
Eine Verfahrensgebühr i.H.v. 1,3 gemäß VV 3100 erwächst dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, wenn er die Klage oder einen der sonstigen in VV 3101 Nr. 1 genannten Schriftsätze bei Gericht einreicht. Der betreffende Schriftsatz oder die Klage muss von dem Rechtsanwalt unterzeichnet sein, um die volle Verfahrensgebühr i.H.v. 1,3 gemäß VV 3100 zur Entstehung zu bringen. Von einer Einreichung des Schriftsatzes i.S.v. VV 3101 Nr. 1 ist zunächst dann auszugehen, wenn dieser bei Gericht tatsächlich eingeht.
bb) Absendung an das Gericht
Rz. 24
Von einer Einreichung kann man, so inzwischen auch der BGH, allerdings auch dann ausgehen, wenn der entsprechende Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten beim Gericht zwar noch nicht eingegangen, aber zumindest so von ihm auf den Weg gebracht wurde, dass der tatsächliche Zugang beim Gericht ausschließlich von der Tätigkeit unabhängiger Dritter (etwa der Deutsche Post AG), also nicht mehr von einer Tätigkeit des Anwalts abhängig ist. In einem derartigen Fall wäre es unbillig, die Gebühr des Prozessbevollmächtigten auf 0,8 zu reduzieren, da ansonsten der reine, vom Anwalt nicht zu beeinflussende Zufall (Dauer des Postlaufs) oder die Auswahl des gewählten Übermittlungsweges über die Gebührenhöhe entscheiden würde. Auch wäre ein derartiges Ergebnis nicht mehr von der Motivation des Gesetzes gedeckt, die Gebühren nur dann zu reduzieren, wenn die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten augenscheinlich nur begrenzt zur Entwicklung gelangt ist.
Rz. 25
In gleicher Weise wird man entscheiden müssen, wenn die Übermittlung des bereits angefertigten Schriftsatzes an das Gericht aus Gründen scheitert, die außerhalb des Verantwortungsbereichs des Prozessbevollmächtigten liegen, also etwa in folgenden Fällen
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Streik des Postzustellungsdienstes, |
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technische Schwierigkeiten des Telefaxgerätes auf Empfängerseite, |
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technische Schwierigkeiten auf Empfängerseite bei Übersendung von elektronischen Dokumenten. |
Rz. 26
Generell wird man also in allen Fällen, in denen die Klage oder der sonstige Schriftsatz das Gericht nicht erreicht, eine Gebührenreduktion nur dann vornehmen können, wenn der Umstand, auf den das Nichterreichen zurückgeht, innerhalb des Verantwortungsbereichs des Prozessbevollmächtigten liegt. Ist das Nichterreichen z.B. darauf zurückzuführen, dass die von dem Prozessbevollmächtigten beauftragte Büroangestellte das Einreichen des Schriftsatzes vergessen hat, erfolgt eine Gebührenreduktion gemäß Nr. 1, wenn sich der Auftrag dann vor dem Zugang beim Gericht erledigt hat. Ansonsten erhält der Anwalt die volle Verfahrensgebühr i.H.v. 1,3.
cc) Einreichung beim unzuständigen Gericht
Rz. 27
Eingereicht ist der Schriftsatz auch dann, wenn er beim unzuständigen Gericht eingereicht worden ist, da der Prozessbevollmächtigte damit in der Sache selbst mit seiner Tätigkeit nach außen hervorgetreten ist. Dem Wortlaut von VV 3101 Nr. 1 lässt sich nicht entnehmen, dass die Gebührenreduktion nur dann entfällt, wenn der betreffende Schriftsatz an das zuständige Gericht übersandt wurde. Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen eher für das Entstehen einer 1,3-Verfahrensgebühr auch bei Übersendung an ein unzuständiges Gericht. Denn reduziert werden sollte die Gebühr in den Fällen, in denen der Anwalt vor Auftragsende nicht mit seiner Tätigkeit nach außen in Erscheinung getreten ist, nicht dagegen in den Fällen, in denen er mangels Zuständigkeit des Gerichts ggf. keine wirksame Verfahrenshandlung vorgenommen hat. In einem derartigen Fall ist also für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten die 1,3-Verfahrensgebühr auch dann verdient, wenn der Kläger die Klage vor Eingang des Schriftsatzes des Beklagten bei dem zuständigen Gericht zurückgenommen hat.
dd) Zustellung an den Gegner
Rz. 28
Die Zustellung der Klage oder des Schriftsatzes an den Prozessgegner ist für die Entstehung der vollen 1,3-Verfahrensgebühr schon nach dem klaren Wortlaut von VV 3101 Nr. 1 nicht erforderlich.