Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Kostenfestsetzung für Erinnerungsverfahren. Billigkeit der anwaltlichen Gebührenbestimmung. Ansatz der halben Mittelgebühr der Nr 3501 RVG-VV für durchschnittliche Erinnerungsverfahren
Orientierungssatz
1. Aus der negativen Formulierung des § 14 Abs 1 S 3 RVG folgt die grundsätzliche Verbindlichkeit und damit deren zugrunde liegende grundsätzliche Billigkeit der anwaltlichen Gebührenbestimmung (nach Ausübung des anwaltlichen Ermessens), so dass der Urkundsbeamte im Falle der Bestätigung der Billigkeit nicht die Begründung der anwaltlichen Ermessensausübung "ersetzen" bzw "nachholen" muss.
2. Der typische Fall eines Erinnerungsverfahrens ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Kriterien des § 14 Abs 1 RVG unterdurchschnittlich sind: Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit beschränkt sich regelmäßig auf das Abfassen einer Erinnerungsschrift oder einer Stellungnahme zur Erinnerung des Erinnerungsführers. Ein Mandantengespräch braucht nicht stattzufinden. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist unterdurchschnittlich, denn es ist allein über die Frage zu befinden, in welcher Höhe die anwaltlichen Gebühren für die Vertretung in einem sozialgerichtlichen Verfahren zu bemessen sind. Auch ist der Sachverhalt begrenzt und leicht zu erfassen. Er braucht auch nicht erst aufgrund von Informationen des Mandanten ermittelt zu werden. Die Bedeutung der Angelegenheit ist begrenzt. Es steht lediglich ein Kostenerstattungsanspruch für Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Raum. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sind jedenfalls dann unterdurchschnittlich, wenn Leistungen nach dem SGB 2 bezogen werden. Ein besonderes anwaltliches Haftungsrisiko liegt normalerweise nicht vor.
3. Grundsätzlich gehen die Kostenkammern des Sozialgerichts Berlin daher in mittlerweile ständiger Rechtsprechung vom Ansatz der halben Mittelgebühr der Nr 3501 RVG-VV für durchschnittliche Erinnerungsverfahren aus.
Tenor
Auf die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 30. Juni 2010 werden die zu erstattenden Kosten auf 42,84 EUR festgesetzt. Der Ausspruch über die Verzinsung gilt entsprechend.
Der Erinnerungsführer hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Auf die zulässige Erinnerung waren die zu erstattenden Kosten auf den Betrag von 42,84 EUR lt. nachstehender Berechnung festzusetzen:
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Verfahrensgebühr Nr. 3501 VV RVG |
30,00 EUR |
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Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG |
6,00 EUR |
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Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) |
6,84 EUR |
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Summe |
42,84 EUR |
Streitgegenstand des vorliegenden Erinnerungsverfahrens sind nach der Kostengrundentscheidung des Beschlusses der 165. Kammer vom 14. April 2010 ausschließlich die Kosten der dortigen Anschlusserinnerungsverfahrens, die von dem dortigen Anschlusserinnerungsführer und hiesigen Erinnerungsführer zu erstatten sind. Das Anschlusserinnerungsverfahren beschränkte sich auf den Schriftsatz des Erinnerungsführers vom 13. August 2009. Eine Anschlusserinnerungserwiderung des Bevollmächtigten der Erinnerungsgegnerin erfolgte nicht.
Der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin bestimmte die Verfahrensgebühr nach Nr. 3501 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr. Diese Bestimmung ist unbillig und im Sinne des Erinnerungszieles einer doppelten Mindestgebühr gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG zu ersetzen. Bei der Gebührenbestimmung sind vor allem die in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien (Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie Haftungsrisiko des Anwalts) zu berücksichtigen. Danach ist vorliegend allenfalls der vom Erinnerungsführer angenommene Ansatz der doppelten Mindestgebühr, der rund einem Drittel der Mittelgebühr entspricht, billig.
Dem (immer noch) regelmäßig vom Erinnerungsführer vorgetragenen Hinweis auf Meyer-Ladewig, 9.Auflage, München 2008, Rz. 6ff. zu § 197 SGG (“Urkundsbeamter muss aber prüfen, ob die Bestimmung unbillig und deswegen nicht verbindlich ist„) wird dabei allerdings nur bedingt zugestimmt. Trägt der Beklagte/Antragsgegner Einwände gegen die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts vor, ist die Billigkeit der Gebühr vom Urkundsbeamten zu prüfen. Trägt er - der Beklagte/Antragsgegner - diese Einwände nicht vor, wird der Urkundsbeamte grundsätzlich davon ausgehen können, dass der Beklagte/Antragsgegner die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts eben nicht ohne weiteres für unbillig hält. Denn dem Beklagten/Antragsgegner wird regelmäßig nach Eingang einer Kostenrechnung bei Gericht rechtliches Gehör gewährt. Sollte der Beklagte/Antragsgegner daher mit der Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts nicht einverstanden sein, ist es seine Aufgabe, dies dem Gericht mitzuteilen. Es gilt nämlich Folgendes: “Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist gemäß § 14 Abs.1 Satz 3 RVG die von dem RA getroffene Bestimmung...