Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Prozesskostenhilfe. Abhängigkeit des Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse vom Umfang der Beiordnung. Berücksichtigung von Tätigkeiten zwischen PKH-Antragstellung und dem im PKH-Beschlusstenor bestimmten Bewilligungs- und Beiordnungszeitpunkt. "wenn vom Gericht nichts anderes bestimmt" iS von § 48 Abs 4 S 1 RVG. KostRMoG 2. Überprüfung der Billigkeit der anwaltlichen Gebührenbestimmung. Verfahrensgebühr
Leitsatz (amtlich)
1. Der Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse nach §§ 45 ff des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) bestimmt sich gemäß § 48 Abs 1 RVG nach den Beschlüssen, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, und ist daher nach seinem Grund und seiner Höhe von dem Umfang der Beiordnung abhängig; der beigeordnete Rechtsanwalt kann danach sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung und unter der Voraussetzung einer wirksamen Vollmacht des begünstigten Beteiligten ergeben (vgl LSG Essen vom 28.5.2013 - L 9 AS 142/13 B, juris RdNr 10; LSG Essen vom 22.12.2010 - L 19 AS 1138/10 B, juris RdNr 25 mwN). Der Beiordnungs- bzw Bestellungsbeschluss ist insoweit bindend für das nachfolgende Vergütungsfestsetzungsverfahren, sachlich nicht auf Richtigkeit hin zu überprüfen und kann auch nicht umgedeutet werden.
2. Der Tenor eines PKH-Beschlusses, dem Kläger werde "für diesen Rechtszug für die Zeit ab dem xx.xx.xxxx ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und XXX beigeordnet", führt dennoch nicht dazu, dass die anwaltliche Tätigkeit, die im Zeitraum zwischen der PKH-Antragstellung und dem im Beschlusstenor genannten Datum erbracht wurde, bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr unberücksichtigt bleibt (Zustimmung zu SG Dortmund vom 24.7.2015 - S 28 SF 311/13 E und LSG Essen vom 24.9.2008 - L 19 B 21/08 AS).
3. Die durch das Zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (2. KostRMoG; juris: KostRMoG 2) vom 23.7.2013 in das RVG eingefügte und mit Wirkung zum 1.8.2013 in Kraft getretene Regelung des § 48 Abs 4 RVG hat der zur alten Rechtslage vertretenen Gegenansicht (zB LSG Essen vom 27.2.2012 - L 12 AS 1601/10 B) die Grundlage entzogen.
4. Durch die schlichte Bestimmung eines Bewilligungs- und Beiordnungszeitpunktes im PKH-Beschluss wird auch regelmäßig nichts "anderes bestimmt" iS von § 48 Abs 4 S 1 (aE) RVG (aA offenbar LSG Darmstadt vom 10.7.2015 - L 2 SF 11/15 E, juris RdNr 24).
5. Die Bestimmung eines Bewilligungs- und Beiordnungszeitpunktes im PKH-Beschluss hat unter Geltung von § 48 Abs 4 RVG nF regelmäßig nur noch insoweit Bedeutung, als es um die Festsetzungsfähigkeit einer bestimmten Gebühr dem Grunde nach geht. Die Verfahrensgebühr entsteht dem Grunde nach nicht nur einmal sondern immer wieder, sobald iS von Vorbemerkung 3 Abs 2 des Vergütungsverzeichnisses des RVG (VV RVG) das "Geschäft betrieben" wird, wofür zB die Fertigung eines Schriftsatzes genügt.
Orientierungssatz
1. Die Staatskasse ist nicht "Dritter" iS des § 14 Abs 1 S 4 RVG, soweit diese nach Maßgabe der §§ 45 ff RVG die Vergütung eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts übernimmt. § 14 Abs 1 S 4 RVG findet keine Anwendung. Es ist aber anerkannt, dass im Festsetzungs- und im Erinnerungsverfahren von Amts wegen eine Billigkeitskontrolle zu Gunsten der Staatskasse stattfindet, ohne dass diese Einwendungen gegen die Gebührenbestimmung vorbringen müsste. Grundlage dieser Billigkeitskontrolle ist § 14 Abs 1 S 1 RVG iVm § 315 Abs 3 BGB in entsprechender Anwendung.
2. Zur Billigkeit der vom Rechtsanwalt bestimmten Höhe der Verfahrensgebühr.
Tenor
Auf die Erinnerung der Erinnerungsführerin wird der Festsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 02.03.2015 für das Verfahren S 32 AS 5015/13 abgeändert und die der Erinnerungsführerin aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 702,10 € festgesetzt.
Die Erinnerung des Erinnerungsgegners wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Höhe der aus der Staatskasse für die anwaltliche Tätigkeit in einem Hauptsachverfahren aus dem Rechtsgebiet des SGB II zu gewährenden Vergütung nach § 45 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (nachfolgend: RVG) und inhaltlich um die Frage, ob, wenn im Tenor des Beschlusses, mit dem nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und ein(e) Rechtsanwalt/Rechtsanwältin beigeordnet worden ist, ein Zeitpunkt für das Wirksamwerden dieser PKH-Bewilligung und der Beiordnung bestimmt worden ist, bei der Bemessung der Vergütung nur die anwaltliche Tätigkeit zu berücksichtigen ist, die nach diesem Zeitpunkt erbracht worden ist, oder ob au...