Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Berechnung der Rechtsanwaltskosten nach RVG ab 1.8.2013. Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung im Klageverfahren maßgebend. fiktive Terminsgebühr. Auslösung nur durch gerichtlichen Vergleich. beigeordneter Rechtsanwalt. Anrechnung von Zahlungen nach § 58 Abs 2 RVG. Berücksichtigung von tatsächlich geleisteten Zahlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Widerspruchsverfahren und Klageverfahren stellen unterschiedliche Angelegenheiten im Sinne des § 15 RVG dar. Maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die Vergütung nach der ab dem 1.8.2013 geltenden Fassung des RVG zu berechnen ist, ist der unbedingte Auftrag zur Vertretung im Klageverfahren.

2. Eine fiktive Terminsgebühr nach Ziffer 3106 S 2 Nr 1 2. Alt VV RVG (juris: RVG-VV) setzt einen auf Veranlassung des Gerichts nach § 278 Abs 6 ZPO oder 101 Abs 1 S 2 SGG geschlossenen, gerichtlichen Vergleich voraus (LSG Chemnitz vom 19.5.2017- L 8 R 682/15 B KO; LSG München vom 29.11.2016 - L 15 SF 97/16 E = DAR 2017, 117; LSG Essen vom 11.3.2015 - L 9 AL 277/14 B = NZS 2015, 560).

3. Bei der Anrechnung von Zahlungen nach § 58 Abs 2 RVG kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe Zahlungen geschuldet sind, sondern darauf, in welcher Höhe die Zahlungen tatsächlich geleistet wurden (LSG Darmstadt vom 23.6.2014 - L 2 AS 568/13 B = JurBüro 2014, 582).

 

Tenor

In Abänderung der Festsetzung vom 12.05.2016 wird die Vergütung für das Verfahren S 6 R 134/13 auf 1163,58 Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Rechtsanwalt des Klägers - Erinnerungsführer - nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht. Der Erinnerungsführer wendet sich insbesondere gegen die Höhe der von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Verfahren S 6 R 134/13 mit Vergütungsfestsetzung vom 12.05.2016 festgesetzten Verfahrensgebühr und Terminsgebühr.

In dem am 25.03.2013 zunächst vom Kläger selbst erhobenen Klageverfahren begehrte dieser die Feststellung einer Berufsunfähigkeit aufgrund eines Leistungsfalls vom 18.06.1978. Auf Antrag des Klägers wurde diesem mit Beschluss vom 08.08.2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten gewährt. Der Klägerbevollmächtigte bestellte sich mit Schriftsatz vom 12.08.2013 unter Vorlage einer Vollmacht. Nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens und einer Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts in dem Verfahren L 2 R 138/12 (SG Frankfurt a.M. S 6 R 134/13) endete das Verfahren am 22.02.2016 durch Zustimmung der Klägerseite zu einem vom Beklagten vorgeschlagenen Vergleich, wonach der Beklagte 1/2 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt.

Der Klägerbevollmächtigte machte in seiner Kostenrechnung folgende Vergütung geltend:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 RVGVZ

500,00 €

Abschlag Vorverfahren -

175,00 €

Terminsgebühr Nr. 3106 RVGVZ

270,00 €

Einigungsgebühr Nr. 1006 RVGVZ

550,00 €

Pauschale Nr. 7002 RVGVZ

20,00 €

Fahrtkosten Nr. 7003 RVGVZ

32,80 €

Zwischensumme

1247,80 €

Umsatzsteuer 19 % Nr. 7008 RVGVZ  

237,08 €

Gesamtsumme

1484,88 €

Davon 1/2

742,44 €

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die Vergütung am 12.05.2016 wie folgt fest:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 RVGVZ

320,00 €

Einigungsgebühr Nr. 1006 RVGVZ

350,00 €

Pauschale Nr. 7002 RVGVZ

20,00 €

Fahrtkosten Nr. 7003 RVGVZ

32,80 €

Zwischensumme

722,80 €

Umsatzsteuer 19 % Nr. 7008 RVGVZ  

137,33 €

Gesamtsumme

860,13 €

Davon 1/2

430,06 €

Sie führte aus, die Gebühren seien nach dem RVG alter Fassung festzusetzen, da das Klageverfahren vor dem 01.08.2013 eingereicht worden sei. Die Tätigkeit des Anwalts, die Schwierigkeit und die Bedeutung lägen im Bereich für ein mit der Höchstgebühr festzusetzenden Verfahren, allerdings nach VV 3103, ohne die Anrechnung im neuen Recht. Dem Klägervertreter stehe nach RVG a. F. keine (fiktive) Terminsgebühr zu; eine solche sei nach Nr. 3106 Satz 1 VV-RVG i.V.m. Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG a.F. nicht angefallen. Eine analoge Anwendung der Vorschrift des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3. VV-RVG komme nicht in Betracht, weil die dafür erforderliche planwidrige Regelungslücke nicht bestehe. In diesem Zusammenhang werde auf die zutreffenden Ausführungen des Kostensenats des LSG Hessen in der Entscheidung vom 10. September 2009 - L 2 SF 222/09 E - Bezug genommen.

Mit der am 13.05.2016 erhobenen Erinnerung macht der Erinnerungsführer geltend, der Kläger habe zwar im März 2013 selbst Klage eingereicht, diese sei jedoch zum Zeitpunkt der Klageerhebung mangels durchgeführten Vorverfahrens unzulässig gewesen. Der Erinnerungsführer sei im Hinblick auf die Aussichtslosigkeit der Klage damals nicht für den Kläger tätig gewesen. Erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides (30.07.2013), nach dem 01.08.2013 habe er den Kläger vertreten, dem am 08.08.2013 Prozesskoste...

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