Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie. erwachsene Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen
Leitsatz (amtlich)
1. Sozialhilfeberechtigte in stationären Einrichtungen haben Anspruch auf eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro aus Anlass der COVID-19-Pandemie im Mai 2021. Dies gilt unabhängig davon, ob sie aufgrund der gesetzlich gebotenen Reihenfolge der Einkommensanrechnung ausschließlich Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII oder auch auf Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 27b Abs 1 SGB XII haben.
2. Bestand im Mai 2021 Anspruch auf den weiteren notwendigen Lebensunterhalt nach § 27b Abs 2-4 SGB XII, ergibt sich dies aus § 144 SGB XII. Andernfalls ist die stationäre Hilfe zur Pflege nach § 65 SGB XII für Mai 2021 um diesen Betrag zu erhöhen.
Orientierungssatz
Az beim LSG Stuttgart: L 2 SO 1183/22
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 08.06.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 30.06.2021 eine weitere Zahlung von 150,00 € zu gewähren.
3. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
4. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie nach § 144 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII).
Der am ... geborene Kläger lebt vollstationär in einem Pflegeheim. Er hat Einkommen in Form .... Der Kläger erhält ferner Leistungen der Pflegeversicherung. Da sein Einkommen die Pflegeheimkosten nicht deckt, bezieht er von der Beklagten Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII in Form der Übernahme der Aufwendungen für das Pflegeheim unter Festsetzung einer Eigenleistung und den Barbetrag sowie die Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 2 bis 4 SGB XII, die auf das Taschengeldkonto des Pflegeheims überwiesen werden. Die Leistungen wurden ursprünglich mit bindendem Bescheid vom 15.12.2014 bewilligt; Eigenleistung, Barbetrag und Bekleidungspauschale wurden vor dem streitgegenständlichen Zeitraum zuletzt mit Änderungsbescheiden vom 14.12.2020 und 26.01.2021 festgesetzt (Barbetrag 120,42 €, Bekleidungspauschale 23,00 € monatlich).
Mit Schreiben seines Betreuers vom 08.06.2021 beantragte der Kläger eine COVID-19-Einmalzahlung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.06.2021 ab. Berechtigt seien nur Erwachsene mit eigenem Anspruch auf Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt. Nicht berechtigt seien Personen wie der Kläger mit ausschließlichem Anspruch auf Hilfe zur Pflege. Dagegen erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 14.06.2021 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Hilfe zum Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen sei Teil der Hilfe zur Pflege. Daher sei der Zuschlag nach § 144 S. 2 SGB XII mit dem Barbetrag auszuzahlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Gemäß § 144 S. 1 SGB XII erhielten Leistungsberechtigte, denen für den Monat Mai 2021 Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII gezahlt würden, und deren Regelsatz sich aus der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 der Anlage zu § 28 SGB XII ergebe, für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150,00 €. Leistungsberechtigten, für die die Regelbedarfsstufe 3 gelte, sei die Leistung zusammen mit dem Barbetrag auszuzahlen (§ 144 S. 2 SGB XII). Die Voraussetzungen des § 144 SGB XII seien kumulativer Art. Der Kläger müsse also sowohl Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII beziehen als auch müsse sein Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1, 2 oder 3 der Anlage zu § 28 SGB XII zu bemessen sein. Beim Kläger sei dies nicht der Fall. Sein Bedarf für Leistungen des 4. Kapitels SGB XII aus § 42 Nr. 1, Nr. 4 b, § 27b Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XII betrage 357,00 € als Regelbedarf (Regelbedarfsstufe 3 der Anlage zu § 28 SGB XII) zuzüglich der pauschalen Unterkunftskosten aus § 27b SGB XII in Höhe von 468,00 €. Es ergebe sich damit ein Bedarf der Grundsicherung in Höhe von 825,00 €. Der Bedarf für Leistungen des 3. Kapitels SGB XII aus § 27b Absätze 2, 3 Nr. 1 SGB XII betrage 23,00 € als Bekleidungsbeihilfe zuzüglich des Barbetrages in Höhe von 120,42 €. Es ergebe sich also ein Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 143,42 €. Der Gesamtbedarf des Klägers für Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII belaufe sich mithin auf 968,42 €. Dem stehe ein einzusetzendes Einkommen des Klägers im Mai 2021 von 1.179,54 € gegenüber (Altersrente 615,46 €, Hinterbliebenenrente 107,88 €, italienische Rente 132,20 €, Wohngeld 324,00 €). Damit decke das einzusetzende Einkommen die Bedarfe nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII vollstä...