Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. echter Grenzgänger (hier: von Frankreich nach Deutschland). Steuerpflicht im Wohnsitzstaat. Erstreckung auf Sozialleistungen. Grenzgängerfiskalausgleich gem Art 13a Doppelbesteuerungsabkommen Frankreich (juris: DBA FRA). keine fiktive Lohnsteuer bei Krankengeldberechnung. keine Ungleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein echter Grenzgänger im Sinne von Art 1f VO (EG) 883/2004 (juris: EGV 883/2004) unterliegt gemäß Art 13 Abs 1 und 5 DBA FRA der Steuerpflicht in seinem Wohnsitzstaat.
2. Nach dem Zusatzabkommen vom 31.3.2015 (juris: DBAZusAbk FRA 2015) gilt dies auch für Sozialleistungen.
3. Wegen des in Art 13a DBA FRA vorgesehenen Grenzgängerfiskalausgleich ist bei der Berechnung des Krankengelds das zu ermittelnde Nettoarbeitsentgelt nicht um eine fiktive Lohnsteuer zu vermindern. Eine Ungleichbehandlung liegt darin nicht.
Tenor
1. Die Bescheide der Beklagten vom 4. September 2018 und 5. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2020 werden geändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, das Krankengeld des Klägers vom 6. Juni 2018 bis 22. Oktober 2019 ohne Abzug einer fiktiven Lohnsteuer nach den gesetzlichen Bestimmungen neu zu berechnen.
3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Krankengelds nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V).
Der 1956 geborene Kläger war seit 1. September 2014 bei der Beklagten zunächst als Arbeitnehmer, zuletzt beschäftigt bei der Firma Innenausbau P. GmbH in B-Stadt, seit 23. Oktober 2019 infolge von Bezug von Arbeitslosengeld I gesetzlich krankenversichert.
Nach den Lohn- und Gehaltsabrechnungen von April und Mai 2018 betrug das Bruttoentgelt 2.776,89 €, netto 2.204,16 €.
Der Kläger wohnt in Frankreich. Er wird dort zusammen mit seiner Ehefrau steuerlich veranlagt.
Der Kläger war 25. April 2018 bis 22. Oktober 2019 arbeitsunfähig. Bis 5. Juni 2018 bezog er Entgeltfortzahlung und sodann Krankengeld vom 6. Juni 2018 bis 22. Oktober 2019.
Der Kläger sprach bei der Beklagten am 5. Juni 2018 vor und beantragte die Berechnung des Krankengeldes nach französischem Steuerrecht.
Nach einer Bescheinigung vom 19. Juli 2018 betrug das tägliche Bruttokrankengeld 60,06 €, netto 52,61 €. Dagegen legte der Kläger am 30. August 2018 „Widerspruch“ mit der Begründung ein, er könne das Nettoentgelt von 2.002,00 € nicht nachvollziehen; nach Auskunft seines Steuerberaters errechne sich ein französischer Steuersatz für sein Gehalt und für das seiner Ehefrau in Höhe von 4,94 %.
Mit einem Schreiben vom 4. September 2018, ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehen, führte die Beklagte aus, sie habe eine Neuberechnung mit einem Steuersatz von 4,94 % durchgeführt. Dadurch ergebe sich ein Nettoentgelt von 2.062,82 €, woraus ein tägliches Nettokrankengeld in Höhe von 54,22 € folge.
Mit als Widerspruch gegen die Krankengeldberechnung bezeichneten Schreiben vom 16. Mai 2019 verwies der Kläger auf das deutsch - französische Doppelbesteuerungsabkommen (infolge: DBA) in der Fassung des Zusatzabkommens vom 31. März 2015. Da er in Frankreich wohne und es sich bei Krankengeld um eine Leistung der gesetzlichen Sozialversicherung handele, dürften keine Steuern bei der Berechnung des Krankengeldes berücksichtigt werden, weil das Krankengeld seit Inkrafttreten des Abkommens komplett in Frankreich versteuert werde.
Am 27. Mai 2019 bescheinigte die Beklagte für die Zeit ab 6. Juni 2018 ein tägliches Bruttokrankengeld von 63,63 € (netto 55,57 €). Dagegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 4. Juni 2019, mit welchem er im Wesentlichen monierte, seine Berechnungen führten zu einem anderen Betrag.
Mit Bescheid vom 5. Juni 2019 führte die Beklagte aus, eine Doppelbesteuerung sei nicht erfolgt. Maßgeblich sei § 47 Abs. 5 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX).Er habe die Berechnung des Krankengeldes nach der EWG-VO 833/04 beantragt. Daher sei die fiktive Lohnsteuer entsprechend eines in Deutschland Steuerpflichtigen nicht ansetzbar. Das Nettoarbeitsentgelt könne jedoch bei der Berechnung nicht ohne Abzug des Steuersatzes des Wohnsitzlandes, also Frankreich, bleiben. Andernfalls wäre er gegenüber den in Deutschland steuerpflichtigen Arbeitnehmern erheblich bevorzugt. Somit sei bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgeltes bei einem Grenzgänger der französische fiktive Lohnsteuersatz in Ansatz zu bringen. Der ursprüngliche Steuersatz aus der Steuererklärung 2017 habe 7,13 % betragen, welcher zu einem monatlichen Nettoentgelt von 2.002,01 € führe. Nach seinem Widerspruch sei eine Neuberechnung unter Zugrundelegung eines Steuersatzes von 4,94 % durchgeführt worden, was ein Nettoarbeitsentgelt von 2.062,82 € ergeben habe. Daraus folge ein tägliches Bruttokrankengeld von 61,88 €, netto 54,22 €.
Dagegen richtete sich der Widerspruch des...